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Mit der S-Bahn nach Werneuchen
Linke-Politiker aus Marzahn-Hellersdorf und Brandenburg wünschen sich eine bessere Zugverbindung ins Berliner Umland
Nach dem Termin auf dem Bahnhof Ahrensfelde nimmt der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) am Freitagmittag die S-Bahn nach Potsdam, um in die Berliner Innenstadt zu fahren. Die S-Bahn verkehrt alle zehn Minuten. Vom Bahnhof Ahrensfelde nach Brandenburg zu kommen, ist dagegen schwierig. Für die S-Bahn ist hier im Norden von Berlin-Marzahn Endstation. Der Bahnhof liegt noch auf dem Territorium der Hauptstadt, die Grenze zu Brandenburg und zur namensgebenden Gemeinde Ahrensfelde verläuft ein paar Meter dahinter. Weiter nach Werneuchen geht es mit der Regionalbahn 25. Doch die fährt lediglich stündlich. Ab 2024 soll sich die Taktzeit auf 30 Minuten verkürzen. Dazu wird bis dahin auf der eingleisigen Strecke eine Ausweichstelle gebaut.
Für den Bundestagsabgeordneten Görke ist das ein Anfang, aber noch lange nicht die Lösung der Verkehrsprobleme. Für das Berliner Umland sei bis 2030 und darüber hinaus ein Bevölkerungswachstum von zehn bis 15 Prozent prognostiziert, erinnert er. In der Gegend weiter weg um Wriezen stürben gegenwärtig noch mehr alte Menschen als Babys geboren werden. Doch für die Zukunft werde erwartet, dass sich die Einwohnerzahlen dort stabilisierten, berichtet Görke. Die Zahl der Pendler nach Berlin würde sich damit weiter erhöhen. Aber auf der Bundesstraße 158 nach Werneuchen und weiter nach Tiefensee wälzt sich Tag für Tag schwerfällig eine Blechlawine. »Auf der 158 ist immer Stau«, bedauert Görke.
Das könnte sich ändern, wenn die Regionalbahn öfter fährt – am besten über Werneuchen hinaus nach Wriezen. Gleise gibt es bereits. Die Strecke ist nur stillgelegt, könnte jedoch reaktiviert werden. Einem Gutachten zufolge würde dies 26 Millionen Euro kosten. »Ich hätte gedacht, das ist teurer. Da gibt es ganz andere Hausnummern«, ordnet Görke die Summe ein. Er findet: »Das ist eine Baustelle mit Perspektive.« Doch im bis 2027 geltenden Brandenburger Landesnahverkehrsplan sei lediglich festgehalten, das Potenzial der Verbindung zu untersuchen. »Wenn man damit fertig ist, dann ist kein Geld mehr da«, befürchtet Görke. Denn bis 2026 gibt es die Gelegenheit, die Reaktivierung von Bahnstrecken zu 90 Prozent mit Fördermitteln des Bundes zu bezahlen. Bundesweit liegen nach Kenntnis von Görke bereits 27 Anträge vor. »Andere Länder greifen jetzt zu und wir prüfen und prüfen, reden und reden und kommen nicht in die Puschen«, beklagt der Abgeordnete.
Wenn man es nur wollte, könnte man die Regionalbahn zumindest von Werneuchen bis Tiefensee sofort weiterfahren lassen. Denn erst hinter Tiefensee sei die Bahnstrecke entwidmet. Eine Bahnverbindung bis Tiefensee würde zumindest schon einmal den Dauerstau in Werneuchen auflösen, so Görke. Jetzt ist es so, dass wegen der unattraktiven Bahnverbindung viele Brandenburger mit dem Auto nach Berlin hineinfahren. Manche stellen ihren Pkw an den Bahnhöfen Ahrensfelde oder Springpfuhl ab und steigen dort in die S-Bahn um. Fast alle am Bahnhof Ahrensfelde geparkten Pkw haben Kennzeichen aus dem Landkreis Barnim.
Den Autoverkehr reduzieren möchte auch Bjoern Tielebein, Linksfraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf. Darum hat er eine Liste von Wünschen, die schrittweise erfüllt werden könnten. Da wäre zunächst das Anliegen, aus der eingleisigen Strecke nach Wriezen wieder eine zweigleisige zu machen, damit die Züge noch öfter fahren können als alle 30 Minuten. Der Platz dafür ist vorhanden. Denn früher gab es ein zweites Gleis. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg demontiert und als Reparationsleistung für erlittene Zerstörungen in die Sowjetunion abtransportiert. Die Trasse wurde aber seither freigehalten. Zusätzlich träumt Tielebein von einer Verlängerung der S-Bahn von Ahrensfelde nach Werneuchen. Auch dafür ist der Raum vorhanden. Bis Ahrensfelde wurde die S-Bahn 1984 gezogen, als in Marzahn-Nord ein Wohnblock nach dem anderen entstand. Doch damit sollte nicht Schluss sein. Auf einem alten Stadtplan von 1988 waren weitere S-Bahnstationen wie Ahrensfelde-Nord bereits eingetragen. Daraus wurde aber nichts.
»Schade«, sagt Tielebein. Denn in Berlin herrscht Wohnungsnot. Junge Leute würden nur dann ins Umland ziehen, wenn sie von dort wenigstens alle 15 Minuten einen Zug in die Hauptstadt nehmen könnten. Überfällig wäre nach Ansicht von Tielebein eine Sanierung des Bahnhofs Ahrensfelde, an dem seit 1984 fast nichts gemacht wurde.
In eine Liste von 50 Stationen der Berliner S-Bahn, die im laufenden Jahrzehnt aufgehübscht werden sollten, sei Ahrensfelde leider nicht aufgenommen worden, erläutert Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Dabei müsste unbedingt etwas gemacht werden. Die Empfangshalle mit Fahrkartenschalter ist schon länger geschlossen. Nur ein Blumenladen mit einem separaten Eingang hat geöffnet. Verkauft und restauriert sind dagegen drei Backsteingebäude des historischen Bahnhofs von 1898. Die Fenster sind dezent mit blauen Folien abgeklebt. Dahinter gehen Prostituierte ihrem Gewerbe nach. Das vierte historische Backsteingebäude gehört dem Land Berlin und gammelt genauso wie die in der DDR errichteten Anlagen vor sich hin.
Da kann Tielebein nur den Kopf schütteln. Als Kind zog der heute 39-Jährige 1987 mit seinen Eltern in eine Neubauwohnung ganz in der Nähe. Hier liegt der Wahlkreis für das Abgeordnetenhaus, in dem sich Tielebein im September 2021 mit 297 Stimmen Rückstand zum Erstplatzierten geschlagen geben musste. Gewonnen hat das Direktmandat Gunnar Lindemann (AfD), der auch von der jetzt inhaftierten Reichsbürgerin Birgit Malsack-Winkemann unterstützt wurde. Bei der Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 erhält Tielebein eine zweite Chance, die er nutzen will.
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