nd-aktuell.de / 16.12.2022 / Kultur / Seite 1

Die drei Amigos

Plattenbau. Die CD der Woche: »Iron Fist – 40th Anniversary Edition« von Motörhead:

Frank Schäfer

Es lag wohl an der überzogenen Erwartungshaltung, dass »Iron Fist« bei der harten Kundschaft zunächst durchfiel. Als das siebte Album von Motörhead im April 1982 erschien, war die Band schon ein paar Jahre die Referenzgröße in Sachen Nietenlänge gewesen. Knapp ein Jahr vorher hatten sie es endlich geschafft, mit »Nö Sleep Till Hammersmith« ihre Live-Rabiatesse erstmals adäquat in die Rille gepresst zu bekommen. Mittlerweile waren allerdings juvenile Herausforderer wie Tank, Raven und vor allem Venom nachgerückt, die schon im Studio extremistischer klangen. Und schon bald kam ja auch »Kill ’Em All« von Metallica[1] heraus. Es galt also das olympische Ethos »Höher, schneller weiter« – und man erwartete von Motörhead ein Album, das noch einmal, was spielerische und produktionstechnische Forciertheit anging, die Grenzen verschob.

Lemmy, Fast Eddie und Philthy hingegen kümmerte das überhaupt nicht, sie nahmen einfach ein weiteres »Ace Of Spades« auf. Und als Lemmy[2] dann auch noch fremdelte mit dem Heavy-Metal-Rubrum und in Interviews immer wieder darauf beharrte, Rock ’n’ Roll zu spielen, reagierte die gerade zusammenwachsende, von sich selbst euphorisierte Szene mit einer gewissen Enttäuschung, die dann beim großartigen, aber für Die-hard-Fans viel zu melodiösen Nachfolger »Another Perfect Day« sogar umschlug in Verachtung. Beinahe wäre aus Motörhead eine Band von gestern geworden, wenn Lemmy nicht nachgebessert und mit Wurzel und Phil Campbell ein entschieden Genre-affineres Gitarrenduo verpflichtet hätte.

Nachträglich hat die Metal-Solidargemeinschaft[3] allerdings ihren Frieden gemacht mit »Iron Fist«, das neben aufgeräumten Knüppelstücken wie dem kanonischen Titelsong oder »Heart Of Stone« auch ein paar versteckte Klunker enthält wie die von Fast Eddie Clarke mit schönen Blues-Harmonien angedickte »Loser«-Elegie. Die vielen Bonus-Demos der gerade erschienenen »40th Anniversary Edition« des Albums enthalten ein paar interessante Vorstufen der fertigen Songs. Bisweilen sind es nur alternative Lyrics, aber »Go To Hell« zum Beispiel trumpft mit einer fulminanten Ballerstrecke auf, die im fertigen Mix offenbar dem kommerziellen Über-Ich zum Opfer fällt. Bei den Aufnahmen war denn auch nicht alles glatt gelaufen. »Es war, als würde ich nüchtern werden und merken, dass es Müll war, das meiste davon«, schimpft Lemmy viele Jahre später, trifft dann aber doch noch den Punkt: »Aber das Problem ist: Was veröffentlicht man nach einer Live-Platte, die direkt auf Platz eins gelandet ist? Da kann man nichts machen.«

Auf der Bühne aber waren die drei Amigos jederzeit in der Lage, es mit den jungen Wilden im Metal aufzunehmen. Das beweist die als Bonus enthaltene Konzertaufnahme aus dem Glasgower »Apollo« vom 18. März 1982. Sie zeigt auch, wie nahtlos die neuen Songs in die Setlist passen. »You know me, evil eye / You know me, prepare to die / You know me, the graveyard kiss / Devil’s grip, the Iron Fist.«

Motörhead: »Iron Fist – 40th Anniversary Edition« (BMG)

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1033265.erst-hui-dann-pfui-so-klingt-metallica-heute.html?sstr=metallica
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/996277.chronik-eines-verschobenen-todes.html?sstr=lemmy|kilmister
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168107.heavy-metal-history-deutschland-war-ganz-weit-hinterher.html?sstr=metal