nd-aktuell.de / 19.12.2022 / Politik / Seite 1

Späte Entschuldigung für Sklaverei

Niederlande ringen mit ihrer Geschichte als ausbeuterische Kolonialmacht. Regierung sendet Geste an Sklavennachfahren

Peter Steiniger

In einer Rede vor Vertretern ehemaliger Kolonien im Nationalarchiv der Niederlande in Den Haag bekannte sich Ministerpräsident Mark Rutte am Donnerstagnachmittag zum Anteil seines Landes an der Sklaverei und übernahm für sein Land symbolisch dafür Verantwortung: Jahrhundertelang hätten der niederländische Staat und seine Vertreter die Sklaverei möglich gemacht, gefördert, aufrechterhalten und davon profitiert. Ob sich Rutte auch förmlich entschuldigen würde, hatte er bis zuletzt offen gelassen. Doch er rang sich zu klaren Worten durch: In mehreren Sprachen entschuldigte sich der Politiker im Namen des niederländischen Staates für dessen Handlungen in der Vergangenheit: »posthum bei allen versklavten Menschen«, aber auch »bei all ihren Nachkommen bis zum jetzigen Zeitpunkt.« 

Dies sei kein Schlusspunkt unter der Geschichte, betonte Rutte, »sondern ein Komma«. Die Pflege des historischen Gedächtnisses und die Forschung zum Thema Sklaverei sollen dauerhaft intensiviert werden. Dafür wird ein Fonds im Umfang von 200 Millionen Euro aufgelegt. Zuvor hatte der Politiker von der rechtsliberalen Volkspartei allerdings deutlich gemacht, dass es keine Reparationen für die vom niederländischen Kolonialismus betroffenen Länder und die Nachfahren von Sklaven geben soll[1].

In seiner Ansprache in Den Haag bezeichnete der Regierungschef die Rolle der Niederlande bei der Sklaverei als ein scharf zu verurteilendes »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« und als ein »kriminelles System«. Die Opfer der Sklaverei seien »Familien entrissen, entmenschlicht, transportiert und behandelt worden wie Vieh«. Das unzähligen Menschen weltweit zugefügte schwere Leid wirke bis in die heutige Zeit nach, betonte Rutte. Man könne sich den historischen Fakten nicht entziehen. Diese belegten, so der Regierungschef, dass es im System der Sklaverei unter niederländischer Hoheit »maßlose Willkür und Grausamkeit« gegeben habe. Detaillierte Aufzeichnungen in den Archiven verdeutlichten die Absurdität eines Systems, »in dem der Mensch den Menschen zu einer Handelsware macht«. Dieses, betonte der Ministerpräsident, sei »so unmenschlich und ungerecht« gewesen, dass nach seinem offiziellen Ende 1863 »nicht die Versklavten, sondern die Sklavenhalter vom Staat finanziell entschädigt wurden«.

Die Ansprache des Premiers stellte die offizielle Antwort an das Parlament auf den Bericht »Ketten der Vergangenheit« der von der Regierung eingesetzten Kommission zur Geschichte der Sklaverei dar, die im vergangenen Juli eine Anerkennung des »historischen Unrechts« gefordert hatte. Auch sollten sich die Niederlande aktiv für die Bekämpfung der Folgen wie Rassismus einsetzen. In der niederländischen Öffentlichkeit hat die geplante Geste für heftige kontroverse Debatten gesorgt. Rutte erklärte am Montag, dass sich die Regierung die drei Kernworte der Kommission »Anerkennung, Entschuldigung, Wiedergutmachung« zu eigen mache. 

Die Niederlande waren einst die drittgrößte Kolonialmacht der Welt. In rund 230 Jahren verschleppten ihre Handelskompanien mindestens 600 000 Menschen. Die meisten stammten aus Westafrika und wurden verkauft, um auf den Plantagen in Suriname und auf den Antillen zu arbeiten. Als eines der letzten Länder Europas schaffte das Königreich die Sklaverei offiziell am 1. Juli 1863 ab. Tatsächlich endete sie aber erst 1873.

Lange hatte die Regierung von Premier Rutte eine Entschuldigung für die Sklaverei abgelehnt. Die aktuelle Debatte um die Aufarbeitung war durch die Bewegung Black Lives Matter befördert worden. Im Anschluss an Ruttes Rede wollten sieben Minister und Staatssekretäre seines Kabinetts in der früheren südamerikanischen Kolonie Suriname und auf den sechs Inseln der niederländischen Karibik sprechen[2].

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169026.reparationen-spaete-gerechtigkeit.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1137816.walter-rodney-schwarze-regierungen-weisse-politik.html