Eines der schönsten Bücher des Jahres ist ein ebenso trauriges wie spannendes: In dem Comic »Das Gutachten« erzählt Jennifer Daniel einen Krimi aus den späten 70er Jahren, bester BRD-Noir[1]. Eine beklemmende Geschichte in beklemmenden Farben (schwarz, beige, rot, dunkelgrün). Es geht um die Nazi-Vergangenheit, RAF-Unterstützer[2], Alkoholismus und Verzweiflung. Und um einen Unfalltod, der nicht hätte sein müssen. Er wird aufgeklärt von einem trinkenden, frustrierten, konservativen Fotografen aus der Gerichtsmedizin, der sich damit gegen seine bourgeoisen Vorgesetzten wendet und das letztlich auch nicht überlebt.
Jennifer Daniel, Jahrgang 1986, hat diese Geschichte auf der Grundlage von Fotos aus dem Nachlass ihres Opas entwickelt: Poetisch-realistisch zeichnet sie ebenso abtrakt-distanziert wie herzlich-detailgenau die spießig-triste BRD der 70er nach, die Frisuren, die Autos, die Kneipen und die Brillen. Damals wurde noch HB geraucht, VW-Käfer gefahren, über Kriegsdienstverweigerung diskutiert, und wer irgendwo das Kürzel »RAF« hinschrieb, war schon mit einem Bein im Knast. Dieses Buch ist tatsächlich ein brillantes Gutachten über die gar nicht so gute alte Zeit.
Jennifer Daniel: Das Gutachten, Carlsen, 195 S., geb., 25 €.