Der Airport BER – ein Fluchhafen

Die Ex-Landtagsabgeordnete Anita Tack (Linke) veröffentlicht ein Buch über das Bauprojekt in Schönefeld

  • Dagmar Enkelmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Bau des neuen Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld bietet Stoff für einen mehrbändigen Kriminalroman. Den allerdings wollte Anita Tack (noch) nicht schreiben. Spannend ist es trotzdem, einen Blick zurück auf die nahezu unendliche Geschichte des »Pannenflughafens« zu werfen. Sie fügt sich ein in eine Reihe politisch bejubelter, finanziell hoch subventionierter, letztlich aber gescheiterter Großvorhaben in Brandenburg, wie die Chipfabrik in Frankfurt (Oder), der Lausitzring in Klettwitz, die Transrapid-Strecke zwischen Hamburg und Berlin oder die Cargolifter-Halle in Brand. Überall verbrannten Steuergelder in Millionenhöhe, Intransparenz herrschte bei Entscheidungen vor, Bürger*innenbeteiligung mutierte zur Farce. Am Ende jedenfalls übernahm in keinem der Fälle jemand politische Verantwortung.

Der Flughafen wurde immerhin nach 14 Jahren Bauzeit fertig. Siebenmal allerdings musste die Eröffnungsparty verschoben werden. Seit dem 31. Oktober 2020 wird der Flughafen von Millionen Fluggästen genutzt. Warum da noch in alten Geschichten wühlen? Schnell den Mantel des Schweigens darüberlegen, sich ergötzen an einem »konkurrenzfähigen« internationalen Airport – das hätte sicher mancher gern, der noch heute in Amt und Würden ist.

Die ehemalige Landtagsabgeordnete Anita Tack (Linke) aber lässt das Wissen um Hintergründe nicht los. Sie hat sich als Regionalplanerin und als Politikerin viele Jahre mit dem Flughafen befasst. Nun legt sie im Verlag Welttrends Potsdam, unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ihr Buch »BER. Das Lehrstück vom Flug- und Fluchhafen« vor. Es sei ausdrücklich kein »Enthüllungsbuch«, schreibt sie. Schade eigentlich, denn auch da könnte sie sicherlich noch einiges beitragen. Tack erinnert an politische Entscheidungen, wie die über den Standort des Großflughafens, die genau das waren: politisch – und eben weniger von Sach- und Fachkenntnis oder gar von Abwägungen geleitet. Die Autorin listet die millionenschweren Verluste auf, die entstanden, zum Beispiel durch die Fehlinvestition beim Kauf des Baufeldes Ost und durch die versuchte Privatisierung. Die Rede ist auch vom mehr als großzügigen Umgang mit dem Vergaberecht.

Eine kleine Nebenbemerkung sei mir da als mit Vergaben regelmäßig befasste, langjährige Stadtverordnete in Bernau gestattet: Ein derartiger Umgang mit Recht und öffentlichen Geldern hätte zumindest zur Abwahl des Bürgermeisters und zu juristischen Konsequenzen geführt. Nicht so beim BER. Zwei Untersuchungsausschüsse und ein Sonderausschuss des brandenburgischen Landtags haben zwar dank intensiven Aktenstudiums sowie mitunter inquisitorischer Befragungen von Regierungsmitgliedern und anderer Beteiligter manches an Aufklärung geleistet. Gemeinsam mit Mitarbeiter*innen hat auch Tack viel Zeit in die Untersuchungsarbeit gesteckt. Davon profitiert das vorliegende Buch. Mehrheitlich stellten die Ausschüsse aber regelmäßig fest, dass man vielleicht einiges hätte besser machen können. Der Persilschein wurde dennoch erteilt. Die Ausschüsse blieben letztlich folgenlos. Einzig Minderheitenvoten der PDS- beziehungsweise der Linksfraktion setzten sich kritisch mit dem Regierungshandeln auseinander und mahnten Schlussfolgerungen an. Vieles ist bis heute aktuell und es lohnt das Nachlesen.

Ein Buch, das 2022 erscheint, muss allerdings deutlich darüber hinausgehen. Vorstellungen von »Immer weiter, immer schneller, immer öfter, immer billiger«, die den Höhenflügen von einem »internationalen Luftdrehkreuz« zugrunde lagen, blinder Fortschrittsglaube und Wachstumsfetischismus passen nicht mehr in die heutige Zeit eines sich dramatisch vollziehenden Klimawandels mit gravierenden Schäden für Mensch und Natur. Da ist eine nachhaltige Verkehrsplanung mit Verkehrsverlagerung und -vermeidung ausgehend von einem modernen Mobilitätsverständnis gefragt, bei dem Folgen für Klima, Natur und Umwelt zwingend zu berücksichtigen sind.

Nicht zuletzt macht Anita Tack aber auch zu Recht darauf aufmerksam, dass es noch heute offene Fragen im Zusammenhang mit dem Hauptstadtflughafen gibt: Fragen zu seiner Zukunft, zum Abbau des hohen Schuldenbergs und – was die betroffene Bevölkerung ganz existentiell interessiert – zum Lärmschutz und zu einem konsequenten Nachtflugverbot.

Anita Tack: »BER. Das Lehrstück vom Flug- und Fluchhafen«. Welttrends, 243 S., 16,80 €. Dagmar Enkelmann war von 1990 bis 1998 sowie von 2005 bis 2013 Bundestagsabgeordnete, in den Jahren dazwischen Abgeordnete des brandenburgischen Landtags

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