nd-aktuell.de / 02.01.2023 / Reise / Seite 1

Wenn die Uhr Mitternacht schlägt …

Silvesterbräuche in aller Welt versprechen Glück, Gesundheit und Erfolg

Heidi Diehl

Heiliger Silvester, was hat man nur mit dir gemacht! Statt deines Todestages alljährlich in Ehrfurcht zu gedenken, lassen es die Menschen weltweit krachen. Aber wer weiß, vielleicht würde es dir ja genauso gefallen. Wie viele Päpste vor und nach dir sind in Vergessenheit geraten. Du hingegen wurdest zum Namensgeber für ein ganz besonderes Fest – alle Jahre wieder. Wenngleich es nach deinem Tod am 31. Dezember 353 noch ein paar Jahrhunderte dauerte, bis der Jahreswechsel 1582 weltweit untrennbar mit deinem Namen verbunden wurde. In jenem Jahr nämlich verschob sich durch die gregorianische Kalenderreform der letzte Tag des Jahres vom 24. auf den 31. Dezember, deinen Todestag.

Seitdem haben sich rund um den Globus viele Traditionen entwickelt, um den letzten Tag des Jahres mit Pauken, Trompeten, Böllern und vielerlei merkwürdigen Bräuchen zu verabschieden. Egal, wie die Menschen ins neue Jahr starten, jede Tradition dient letztlich nur einem Zweck: Wer sie befolgt, dem soll das kommende Jahr Glück, Liebe und Erfolg bringen. Wer kann das nicht gebrauchen!

Ganz nach dem Motto: Die Letzten werden die Ersten sein, begrüßen die Menschen in Samoa das neue Jahr mit einem riesigen Feuerwerk zuerst. Denn bis 2011 lag die Datumsgrenze noch östlich des pazifischen Inselstaates, was für die rund 200 000 Einwohner bedeutete, dass sie weltweit zuletzt ins neue Jahr starten durften. Seit sie aber am 29. Dezember 2011 die Zeitzone gewechselt haben, nimmt Samoa die Poleposition ein. Bis dahin hatten die Menschen von Neuseeland, Tonga und den Fidschi-Inseln die Nase vorn.

Peu à peu folgen alle anderen Länder; den Abschluss bilden die Baker- und die Howlandinsel, die zu den neun Kleineren Amerikanischen Überseeinseln gehören. Dort beginnt – aus mitteleuropäischer Sicht betrachtet – die neue Zeitrechnung erst am 1. Januar, 13 Uhr. Was allerdings kaum jemanden interessiert, weil beide Inseln bis auf gelegentliche Besuche von Forschern unbewohnt sind.

Dort aber, wo Menschen wohnen, wird Silvester zumeist gefeiert, bis die Schwarte kracht. So unterschiedlich es dabei auch zugeht, ein opulentes Feuerwerk gehört fast überall dazu. Denn der Legende nach vertreiben Licht und Lärm alle bösen Geister. Darüber hinaus gibt es weltweit zahlreiche verrückte und kuriose Silvesterbräuche.

Natürlich möchte jeder gern wissen, was das kommende Jahr für einen parat hält. In Deutschland bediente man sich dazu des Bleigießens. Seit einigen Jahren ist der Vertrieb von Bleigieß-Sets verboten, nunmehr gibt es beispielsweise Zinngieß-Sets. In El Salvador braucht es für das »Jahreshoroskop« ein rohes Ei, das man um Mitternacht in eine Schüssel gießt und über Nacht auf ein Fensterbrett stellt. Aus der Form, die es am nächsten Morgen angenommen hat, wird dann das Orakel gelesen. 

Auch in Peru bestimmt ein Lebensmittel über die Zukunft – die Kartoffel. Was sonst, wird doch dort ihr Ursprung verortet. Eine Knolle wird ganz geschält, eine zweite nur halb, und die dritte behält ihre Schale. Dann werden alle drei versteckt. Wenn die Uhr Mitternacht schlägt, muss man blind eine ziehen. Wer die ungeschälte erwischt, hat für das nächste Jahr finanziell ausgesorgt, die halb geschälte verspricht ein ganz normales Jahr. Pech hat, wer die geschälte Kartoffel in der Hand hält: Denn für den bedeutet das, die nächsten zwölf Monate den Gürtel enger zu schnallen und darauf zu hoffen, nächstes Silvester eine bessere Wahl zu treffen.

Bei den Spaniern geht das kommende Glück durch den Magen. Denn dort ist es Brauch, mit jedem mitternächtlichen Glockenschlag eine von zwölf Weintrauben zu essen und sich bei jeder etwas zu wünschen. Doch über die Wünsche sollte man nicht allzu lange nachdenken: Denn wer nicht alle Trauben bis Mitternacht gegessen hat, wird im nächsten Jahr vom Unglück heimgesucht.

Übrigens: Viele Spanierinnen tragen in der Nacht der Nächte rote Unterwäsche, die sie sich extra dafür gekauft haben. Noch besser allerdings ist es, sie vom Auserwählten geschenkt zu bekommen. Das verspricht flammende Leidenschaft und die große Liebe. Wer möchte schon darauf verzichten!

Leidenschaft ganz anderer Art zeigen die Dänen. Punkt Mitternacht springen unsere Nachbarn mit viel Getöse von einem Stuhl. Da kann man wirklich nur Hals- und Beinbruch wünschen – und es nicht allzu wörtlich meinen! Damit aber nicht genug. Denn doppelt hält besser: Nach dem Motto »Scherben bringen Glück« zerdeppern sie vor der Haustür von Verwandten und Freunden Berge von Geschirr. Je größer der Scherbenhaufen, desto größer das zu erwartende Glück.

Bei unseren tschechischen Nachbarn stehen Äpfel als Wahrsager hoch im Kurs. Mitternacht werden sie quer aufgeschnitten, denn das Omen versteckt sich im Kerngehäuse. Dabei hofft jeder, dass die Kerne einen Stern bilden, der großes Glück symbolisiert. Liegen sie allerdings über Kreuz, steht Unheil ins Haus.

In einigen Ländern setzt man auf das Gute, das von oben kommt. So werfen die Türken mit ordentlich Schwung Granatäpfel vom Balkon. Je stärker die Frucht dabei aufplatzt und je mehr Kerne sich verteilen, umso beruhigter kann man den kommenden zwölf Monaten entgegensehen.

In Buenos Aires mistet man am letzten Tag des Jahres gründlich die Aktenordner aus, um sich aller Sorgen und Altlasten der vergangenen zwölf Monate zu entledigen. Die Tage zuvor wurde bereits geschreddert, was das Zeug hält. Am Silvestertag in der Mittagszeit setzen die Einwohner der Stadt dann kurzzeitig das normale Klima in Argentinien außer Kraft. Leise rieselt das Papier von den Dächern und Balkonen und verwandelt die Straßen in eine Winterlandschaft der besonderen Art.

Auch die Ecuadorianer entsorgen am letzten Tag des Jahres das Schlechte der Vergangenheit. Dafür basteln sie »Monigotes«, riesige Puppen aus Pappmaschee und alten Sachen, die sie mit Papier und Sägespänen füllen. Dass diese nicht selten eine ziemliche Ähnlichkeit mit ungeliebten Politikern haben, ist durchaus kein Zufall. Mitternacht werden die Figuren dann unter Freudenjubel auf den Straßen und Plätzen verbrannt, damit aus der Asche Neues und Gutes wächst.

Eine schöne, und die Umwelt weniger mit CO2 belastende, Tradition zelebrieren die Menschen in Österreich. Wenn die Uhren und Kirchenglocken Mitternacht einläuten, begrüßen sie auf Straßen und Plätzen das neue Jahr im Walzerschritt.

Statt zu tanzen, zocken sich die Griechen lieber mit Karten- und Würfelspielen ins neue Jahr. Wenngleich dabei auch Millionen mehr oder weniger legal verspielt werden, geht es doch angeblich nur um eines: das Glück, das man für sich und seine Familie im kommenden Jahr ersehnt. Wer am Spieltisch gewinnt, hat es so gut wie sicher. Und wer dort verliert, der kann wenigstens noch auf das Glück in der Liebe hoffen. So geht halt niemand leer aus.

Wer in Bulgarien das Glück im neuen Jahr nicht herausfordern will, lässt sich freiwillig »verprügeln«. Von Kindern! Diese ziehen mit bunt geschmückten Zweigen der Kornelkirsche »bewaffnet« von Haus zu Haus und schlagen deren Bewohner damit auf den Rücken, begleitet von Wünschen für ein gesundes, glückliches und reiches neues Jahr. Doch statt Ärger gibt es für die kleinen Schläger reichlich Süßigkeiten und Geld.

Während in den meisten Ländern Silvester mit viel Rambazamba gefeiert wird, geht es bei den Japanern eher still zu. Feuerwerke und Lärm sucht man vergeblich. Im Land der »aufgehenden Sonne« wird das »Fest des Vergessens des Jahres« gemeinsam mit der Familie und Freunden begangen. Zuvor wurden der alte Schmutz aus dem Haus gefegt und damit die bösen Geister aus den eigenen vier Wänden vertrieben. Gemeinsam isst die ganze Familie zu Abend, wobei die klebrigen Reisklößchen »Mochi« unbedingt auf den Tisch gehören. Genau wie »Soba«, lange Buchweizennudeln, denn die versprechen ein langes Leben und finanzielles Glück. Aber nur, wenn der Teller restlos leer gegessen wurde.

Nach dem Essen zieht es alle in einen der zahlreichen Tempel, um sich unter den Klängen von 108 Glockenschlägen von den Sünden des vergangenen Jahres zu befreien. So gereinigt kann man guten und sauberen Gewissens anschließend Papierlaternen aufsteigen lassen und still dem bunten Treiben am Nachthimmel zusehen.

Egal, ob mit Böllern oder Laternen: Allen sei ein »guter Rutsch« ins neue Jahr gewünscht! Doch bitte nehmen Sie es nicht wörtlich, denn so war es nämlich auch nie gemeint: Weder soll man hinfallen noch auf Glatteis ausrutschen. Sprachwissenschaftler vermuten den Ursprung des Ausspruchs in »Rosch Haschana«, dem jüdischen Neujahrstag. »Rosch« bedeutet so viel wie »Anfang«. Demnach wäre ein »guter Rutsch« ein guter Anfang des Jahres. Und wem sei dies nicht gewünscht!