Werkzeug und Sinnesorgan

Die Hand macht einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Verletzlich ist sie aber auch

Die menschliche Hand besteht aus 27 Einzelknochen, 28 Gelenken und 33 Muskeln. Sehnen, Bänder, Nerven, Blutgefäße und Tastsensoren kommen dazu. Die vielfach verbundenen Bestandteile befähigen dieses Werkzeug zu komplexen Leistungen – nicht nur im weitesten Sinne handwerklich, sondern auch als empfindliches Sinnesorgan. Mit den Fingern (und mit Vorsicht!) können wir Temperaturen überprüfen. Die Fingerkuppen erspüren Unebenheiten, die wir mit den Augen nicht erkennen können. Unsere Hände dienen gleichzeitig der Kommunikation: Das reicht von alltäglichen, kulturell teils unterschiedlichen Gesten bis hin zur Gebärdensprache, mit der sich nicht hörende oder schwerhörige Menschen verständigen. Das ist schon allerhand.

Zudem sind unsere Greifwerkzeuge zu großer Kraftanstrengung in der Lage, was sich etwa beim Klettern zeigt, wenn Sportler das eigene Körpergewicht halten können. Eine Sehnenplatte schützt den Handteller und macht kraftvolles Zupacken möglich. Die Kraft des Griffes unterscheidet sich stark nach dem Geschlecht – im Mittel. Bei Männern entspricht sie einem Gewicht von 50 Kilogramm, bei Frauen ist es die Hälfte. Sportler können den Durchschnittswert der Männer mehr als verdoppeln.

Dass unsere Finger in der Regel schmal sind, liegt daran, dass sie ohne Muskeln auskommen. Sehnen verbinden die Finger mit den Muskeln der Handfläche, des Unterarms und sogar mit denen der Schulter. Der Daumen macht die Hand zum universalen Werkzeug: Stifte können nicht nur sicher gehalten, sondern auch mehr oder weniger kunstvoll bewegt werden, dies auch mit genau dosierter Kraft. Und eben nicht nur Stifte, sondern auch Pinsel oder Messer. Nur der Mensch kann das zweite Daumenglied beugen. So wird feinste Präzisionsarbeit möglich. Zudem können wir jeden Finger dem Daumen gegenüberstellen.

Der Beginn der Evolution der Hand reicht mindestens zwei Millionen Jahre zurück. Unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, können zum Beispiel die Hand nicht zur Faust schließen; ihr Daumen ist weniger kräftig und unbeweglicher als der des Menschen. Als unsere Vorfahren lernten, sich aufzurichten – vielleicht, um über hohes Gras hinweg nach Feinden zu spähen –, begann auch die »Befreiung« der Hände und vermutlich auch erst ihre Entwicklung zum Präzisionsinstrument.

Und, oh Wunder, mit der Freiwerdung der Hände begann zudem das menschliche Gehirn zu wachsen. Diese Wechselwirkung besteht fort: Durch komplexe Handbewegungen wird in der Entwicklung des einzelnen Menschen das Gehirn in seiner Entwicklung stimuliert. Deshalb gehören Malen, Schreiben, Stricken oder das Spielen eines Instruments zu Tätigkeiten, die auch die Hirnentwicklung stimulieren. Die Berliner Physiotherapeutin Daniela Neye, die sich auf Handleiden und deren Linderung spezialisiert hat, erklärt dazu: »Wenn wir zum Beispiel nur noch über die Bildschirme der Handys wischen oder nur noch auf der Tastatur des Computers schreiben, bilden sich bestimmte Bereiche des Gehirns zurück. Schlecht zum Beispiel für unsere Handschrift; nicht nur unsere Finger werden ungeschickter, auch unser Gehirn verändert sich.«

Angesichts der ständigen »Nutzung« der Hände ist es schon erstaunlich, dass sie mit ihren Erkrankungen nicht weiter vorn bei den wichtigsten Leiden des Menschen stehen. Vor allem im Alter oder bei Verletzungen merken viele zum ersten Mal, wie wichtig die Hände im Alltagsleben sind und wie beschwerlich es ist, sie nicht mehr wie gewohnt nutzen zu können.

Nicht in jedem Fall sind die Einschränkungen unumkehrbar. Eine spezialisierte Physiotherapie kann dazu beitragen, dass die Hände auch nach Verletzungen oder bei Krankheiten wieder schmerzfrei, beweglich und kraftvoll werden. Neye widmet sich dem Thema seit 25 Jahren, sie ist heute in eigener Praxis tätig.

»Das Problem ist, dass die Hand so viele Strukturen hat, und zwar auf engstem Raum. Dadurch ist sie anfällig. Alle Gelenke können zum Beispiel arthrotisch werden«, erklärt Neye. Gemeint ist damit ein starker, mehr als altersüblicher Verschleiß. Eine solche und andere Erkrankungen der Hände beginnen oft mit kleinen Einschränkungen: »Gleich beim Zähneputzen morgens geht es los.« Umso wichtiger ist es aus Neyes Erfahrung, das komplexe System der Hand gesund zu halten. Das universale Rezept: »Die Hände viel gebrauchen und möglichst die Gelenke nicht einseitig belasten.«

Patienten, die in der physiotherapeutischen Praxis auftauchen, sind nach Neye nicht Menschen, die körperlich arbeiten, sondern hauptsächlich solche, die am Schreibtisch sitzen. Die Tätigkeiten sind physisch eintönig, zum Beispiel das Schreiben auf einer Tastatur. »Am Schreibtisch bleibt es immer bei den gleichen Bewegungsmustern. Am besten wäre es, alles einmal am Tag durchzustretchen«, erklärt die Physiotherapeutin. Sie hat 31 einfache Übungen in einem Ratgeberbuch zusammengetragen. Dabei geht es nicht nur um die systematische Dehnung aller Gelenke der Hand, sondern auch um die der Hals- und Brustmuskulatur. Ebenso werden mittels der Übungen die Gelenke mobilisiert und auch die Feinmotorik trainiert.

In dem gerade erschienenen Band widmet die Autorin auch den wichtigsten Handerkrankungen eigene Kapitel. Das Spektrum reicht vom Karpaltunnelsyndrom über Schnappfinger und Arthrose bis hin zu Tennis- und Golferarm. Neye erklärt, wie man Schmerzen in den Händen vorbeugen kann. Darüber hinaus berichtet sie, welche Erkrankungen hinter welchen Symptomen stecken und wie deren Therapie aussieht. Ein Workout für den Gipsarm gehört ebenso dazu wie Empfehlungen für weitere unterstützende Therapien, etwa mit Wärme oder Kälte.

Wenn die Funktion der Hände noch nicht eingeschränkt ist, sollte man vorbeugen: Prävention erscheint auch Neye wichtig, zumal der Muskelabbau im menschlichen Körper ab dem 30. Lebensjahr einsetzt: »Nehmen Sie sich täglich zehn Minuten Zeit, um ein paar Übungen durchzuführen. So bleiben Ihre Hände stark und fit.«

Offenbar betreffen aber bestimmte krankhafte Veränderungen der Hände manche Menschen häufiger. Besonders gefährdet sind offensichtlich Diabetiker, bei denen also nicht nur auf Veränderungen und kleine Verletzungen der Füße geachtet werden muss. Mattias Rydberg, Handchirurg an der Universität Lund, hatte mit Kollegen in Schweden zwei bevölkerungesweite Datenerhebungen analysiert. Demnach sind Handveränderungen bei Menschen mit dieser Stoffwechselerkrankung häufiger als bei anderen, nicht von Diabetes betroffenen. Dazu gehört der sogenannte Schnappfinger, bei dem Knötchen auf einer Sehne das Beugen eines Fingers behindern, außerdem die Dupuytren-Kontraktur, das Karpaltunnel-Syndrom sowie die Arthrose des Daumen-Sattelgelenks.

Der Schnappfinger lässt sich laut der Studie zum Beispiel mit Injektionen von Kortikosteroiden behandeln, was aber vor allem bei Typ-1-Diabetikern einen starken Blutzuckeranstieg auslöse. Die alternative Operation führt bei der Patientengruppe jedoch langsamer zum Erfolg, Schmerzen und Steifigkeit halten länger an.

Ausreichend Gründe also, den eigenen Händen genug Aufmerksamkeit zu widmen, bevor es nur noch mit einer Operation weitergehen kann. Handchirurgen beherrschen zwar Möglichkeiten der Versteifung oder der Rekonstruktion und nutzen auch künstliche Gelenke. Bei einem Eingriff gelingt ein gutes Ergebnis jedoch nur, wenn zu gleichen Teilen eben nicht nur Operateur und Handtherapeut dazu beitragen, sondern auch der Patient selbst. Das heißt: nach Anleitung üben, und zwar fleißig, darauf weist Expertin Neye ausdrücklich hin. Insofern könne man mit geeigneten Übungen auch schon bei oder sogar vor den ersten Beschwerden anfangen.

Daniela Neye: Hände in Top-Form. Trias-Verlag, br., 168 S., 22,99 €.

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