nd-aktuell.de / 12.01.2023 / Berlin / Seite 1

Linksgrüner Kandidat ohne Parteibuch

Alexander Löwe in Birkenwerder als Herausforderer von Bürgermeister Stephan Zimniok nominiert

Andreas Fritsche
Von links: Regina Friedemann (Linke), Simone Pollähne (Grüne), Alexander Löwe und Alexandra Stolzenburg (IOB-BiF)
Von links: Regina Friedemann (Linke), Simone Pollähne (Grüne), Alexander Löwe und Alexandra Stolzenburg (IOB-BiF)

Die Linke und die Grünen sind Parteien mit oft gegensätzlichen Auffassungen, aber zum Teil auch großen Übereinstimmungen. Am Mittwochabend harmonieren sie perfekt miteinander, als sie im Rathaussaal von Birkenwerder den parteilosen Alexander Löwe als ihren gemeinsamen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl am 26. März aufstellen. Der 42-jährige Löwe erhält 17 Stimmen. Es gibt kein Nein und keine Enthaltung. Hier im Rathaus soll der gelernte Vermessungstechniker und studierte Restaurator als Bürgermeister vieles anders und vor allem besser machen als Amtsinhaber Stephan Zimniok (parteilos), gegen den Löwe am 26. März antritt.

Das Verblüffende an dieser Konstellation: Löwe gehört zu einem Zusammenschluss von zwei Wählergemeinschaften. Das sind die Initiative Ortsentwicklung Birkenwerder (IOB), gebildet von Mitgliedern der Bürgerinitiative A10-Nord, die ab 2006 gegen die Lärmbelastung durch den Ausbau des Berliner Autobahnrings kämpfte. Und die Wählergemeinschaft Bürger im Fokus (BiF), die sich seit 2014 für mehr Transparenz in der Kommunalpolitik einsetzte. Die IOB-BiF-Fraktion verfügt über vier Mandate in der Gemeindevertretung und stellt mit Stephan Zimniok gewissermaßen den Bürgermeister, der zu den Gründungsmitgliedern von Bürger im Fokus zählt. In den vergangenen Jahren kam es jedoch zur Entfremdung. So schickt die IOB-BiF nun mit Alexander Löwe einen Herausforderer ins Rennen, den sie am Mittwochabend gemeinsam mit der Linken und den Bündnisgrünen nominiert hat. Beide Parteien verfügen über je zwei Mandate in der insgesamt 18 Köpfe zählenden Gemeindevertretung. Hinzu kommt dann noch Bürgermeister Zimniok, der von Amts wegen eine Stimme hat.

»Das Engagement des Bürgermeisters ließ zu wünschen übrig. Wir wollen den Ort entwickeln und das geht nur mit unserem neuen Kandidaten«, erklärt Grünen-Fraktionschef Torsten Werner die Entscheidung zugunsten von Alexander Löwe. »Wir haben lange überlegt, einen eigenen Kandidaten aufzustellen.« Aber der Entschluss, dann doch lieber Löwe zu unterstützen, sei den Grünen »leicht gefallen«. Schließlich gebe es große Schnittmengen.

Daran kann nach der Bewerbungsrede des Kandidaten kein Zweifel bestehen. »Moderates Wachstum, grünes Wachstum« hat er sich für die behutsame Entwicklung der Gemeinde auf die Fahne geschrieben. Es sollen keine Grünflächen in Bauland umgewandelt, sondern stattdessen die Potenziale kommunaler Immobilien besser ausgenutzt werden, um mehr und vor allem auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Mit der S-Bahn gibt es für Berufspendler eine hervorragende Verbindung nach Berlin.

Alexander Löwe ist im Moment selbst Pendler. Geboren in Berlin-Pankow, lebt der Kandidat seit zwölf Jahren in Birkenwerder, wohnt hier mit drei Kindern und seiner Lebensgefährtin, arbeitet jedoch als Denkmalpfleger im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Die vom Bahnhof weiter entfernten Siedlungen müssen besser angebunden sein, meint Löwe. Wenn man zwei Fahrzeuge leasen und drei Fahrer einstellen würde, ließe sich das bewerkstelligen, denkt er. Außerdem schwebt ihm eine Fahrradausleihstation vor.

»Ich trete hier ohne Parteibuch, also als unabhängiger Kandidat an«, betont Löwe. »Aber ich freue mich, dass mich die Grünen und Die Linke unterstützen. Wir haben viele Schnittmengen.« Dass Löwe für die Demokratie und gegen rechts streitet, zeigt allein schon sein Mittun im Verein »Nordbahngemeinden mit Courage« und in der Willkommensinitiative Birkenwerder. Stolz ist er, dass es gelang, im Zusammenspiel mit dem Verein und der Willkommensinitiative ein Gästehaus für geflüchtete Ukrainer einzurichten. Bei den Kulturstätten, die man »erhalten, gestalten und nutzen« müsse, nennt er ausdrücklich das Clara-Zetkin-Haus. Das freut eine im Ratssaal anwesende Frau vom Förderverein der Clara-Zetkin-Gedenkstätte an der Summter Straße 4. Denn eine Sanierung stehe an, doch Bürgermeister Zimniok halte andere Themen für dringlicher, bedauert sie. »Es gibt immer wichtigere Dinge und immer zu wenig Geld«, erklärt Alexander Löwe daraufhin. Doch wenn man jahrelang die Erhaltung eines Gebäudes vernachlässige, werde es nur noch teurer.

1929 hatte Sohn Konstantin das Haus in Birkenwerder für seine alte Mutter, die berühmte KPD-Reichstagsabgeordnete Clara Zetkin gekauft, die sich dort erholen sollte. 1957 wurde eine Gedenkstätte eingerichtet. Zusätzlich befindet sich dort heute eine öffentliche Bibliothek. Als Alterspräsidentin des Reichstags hatte die KPD-Abgeordnete Zetkin am 30. August 1932 gesagt: »Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen.«

Birkenwerder ist kein rechtes Nest. Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die SPD in dieser Gemeinde 27,1 Prozent (Grüne 14,5 Prozent, Linke 8,0). Die AfD schnitt mit 12,2 Prozent für Brandenburger Verhältnisse deutlich unterdurchschnittlich ab. Die AfD hat aber zwei ihrer Leute in der Gemeindevertretung, darunter die Landtagsabgeordnete Daniela Oeynhausen.

Alexander Löwe soll das Gegenmodell sein zu Hass und Verblendung. »Mein Leitmotiv ist ein soziales Miteinander individueller Menschen«, sagt er. »Den gesamtgesellschaftlichen Spaltungstendenzen der jüngsten Vergangenheit will ich durch eine vertrauensvolle und offene politische Arbeit entgegenwirken und das Vertrauen in den demokratischen Prozess wieder stärken.«

Diesen Ansatz begrüßt der Linke-Ortsverbandsvorsitzende Thomas-David Lühmann, da »wir alle ein bisschen in unserer Filterblase leben«, wie er bemerkt. Die IOB-BiF ist nach Lühmanns Einschätzung eine »Mitte-links-Wählergemeinschaft« und damit ein geeigneter Partner für die Sozialisten. Vor acht Jahren hatte Die Linke mit den Grünen deren Fraktionschef Torsten Werner als gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt. Als Drittplatzierter verpasste Werner die Stichwahl.

Nun mit der IOB-BiF im Boot und Löwe als Kandidat stehen die Chancen besser. Torsten Werner hofft, »dass wir einen Wechsel hinbekommen«. Das wünscht sich auch Thomas-David Lühmann. Er selbst darf Löwe am 26. März jedoch nicht ankreuzen. Denn Lühmann ist zwar in Birkenwerder aufgewachsen und politisch aktiv. Doch er wohnt inzwischen in der Nachbarstadt Hohen Neuendorf und damit ist Lühmann in Birkenwerder nicht wahlberechtigt. Wahlkampf will er aber machen und die Strategie dafür besprechen Linke und Grüne gleich im Anschluss an die Nominierung von Löwe, der bislang der einzige Herausforderer von Zimniok ist. Noch hat sich kein anderer Bewerber gemeldet.

Die Kooperation der beiden Parteien ist im Landkreis Oberhavel kein Einzelfall. 2021 beispielsweise war der Landtagsabgeordnete Clemens Rostock (Grüne) gemeinsamer Kandidat bei der Landratswahl[1] und erzielte ein sehr ordentliches Ergebnis. Bei der Nominierung von Löwe am Mittwochabend ist Clemens Rostock als Gast dabei. Die Eintracht ist so groß, dass alle anstandslos akzeptieren, sich als Wahlordnung einer Mustervorlage der Linken zu bedienen. Alle notwendigen Entschlüsse werden einstimmig gefasst. Auch von den Mitgliederzahlen her ist man in Birkenwerder auf Augenhöhe: Es gibt hier 18 Grüne und 17 Linke.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158833.landratswahl-ein-linker-gruener-kandidiert-als-landrat.html?