nd-aktuell.de / 24.01.2023 / Berlin / Seite 1

Einheitsfront Schnellstraße

Bündnis von FDP bis Linke hofft auf Baustart bei der Tangentialverbindung Ost

Yannic Walther
Von der Märkischen Allee bis in den Urlaub: Die TVO soll den Berliner Osten an den Flughafen anbinden.
Von der Märkischen Allee bis in den Urlaub: Die TVO soll den Berliner Osten an den Flughafen anbinden.

»Die TVO ist das bedeutendste Stadtentwicklungsprojekt im Osten der Stadt«, wird Bausenator Andreas Geisel am Montagabend deutlich. Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer hat in ein Gewerbegebiet in die Wuhlheide eingeladen. Wenn die TVO, die Tangentiale Verbindung Ost, wie das Schnellstraßenprojekt ausgeschrieben heißt, irgendwann gebaut werden sollte, würden Autofahrer nach Fertigstellung aus dem Berliner Osten hier künftig bequemer hingelangen. 

Ein über 20-köpfiges parteiübergreifendes Bündnis aus Landes- und Bezirkspolitikern von FDP über CDU bis Linke und der grünen Mobilitätsstaatssekretärin ist der Einladung gefolgt. Sie alle wollen, dass es bei der TVO vorangeht. Denn Planungen für die Stadtschnellstraße, die die Märkische Allee in Marzahn-Hellersdorf und die Spindlersfelder Straße in Treptow-Köpenick verbinden soll, gibt es schon seit DDR-Zeiten. In beiden Bezirken wie auch in Lichtenberg drängen die Bezirksbürgermeister auf den Bau. Von der besseren Anbindung des Flughafens und der Gewerbegebiete, der Reduzierung des Verkehrs auf Straßen wie der Treskowallee oder sogar vom Ende einer angeblichen Vernachlässigung des Berliner Ostens ist die Rede. 

Auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hatte sich bereits für den Bau der TVO ausgesprochen[1]. Anders als beim vom Bund geplanten 17. Abschnitt der A100[2] sind bei der Schnellstraße im Osten auch jene für den Bau, die sonst vehement gegen weitere Straßen und für die Verkehrswende eintreten. Wobei nicht zuletzt Jaraschs Vorgängerin und Parteifreundin Regine Günther von der Opposition vorgeworfen wurde, die Planungen für die TVO zu verschleppen. Klar ist, dass durch den Zeitverzug die Kosten angestiegen sind. Von 350 Millionen Euro für den 6,4 Kilometer langen Straßenbau war im Frühsommer vergangenes Jahr die Rede. Bis zu einem möglichen Baustart dürfte es noch teurer werden.

Man müsse viel »Vergangenheitsbewältigung« anstellen, um zu erklären, warum es so lange gedauert hat, sagt Lutz Adam, Abteilungsleiter Tiefbau in der Senatsmobilitätsverwaltung. Letztlich wurden die Planungen über die Jahre mehrfach überarbeitet. Nun soll es aber konkret werden. »Im dritten Quartal sind wir soweit, dass wir ein Schnürchen darum machen und die Planfeststellungsunterlagen bei Senator Geisel abgeben können«, sagt Adam. Auf einen Termin für den Baubeginn oder gar die Fertigstellung will er sich nicht festlegen. Denn bis dahin ist es ein weiter Weg. »Vor Gericht und auf hoher See ist man nicht immer in einer klaren Terminschiene«, beschreibt Adam, womit am Ende alle rechnen. 

»Natürlich werden wir als letztes Mittel klagen«, sagt Martin Schlegel, Verkehrsexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin zu »nd«. Umweltschützer wehren sich vehement gegen den Straßenbau, unter anderem weil für diesen auf mehreren Hektar Wald in der Wuhlheide Bäume gefällt und Flächen neuversiegelt werden müssen. Obwohl es mittlerweile bei Bauvorhaben schwierig ist, die dafür vorgeschriebenen Ersatz- und Ausgleichsflächen zu finden, hätte man nun 19 Hektar teils auch außerhalb von Berlin »mit viel Mühe« zusammenbekommen. »Die Rudolf-Rühl-Allee wollen wir komplett entsiegeln und die Waldflächen zusammenführen«, nennt Adam als Beispiel. 

Martin Schlegel vom BUND bezweifelt aber auch, dass die TVO die Verkehrsentlastung bringen wird, die sich die Bezirke erhoffen. Getreu dem Motto »wer Straßen sät, wird Verkehr ernten« ist er überzeugt, dass die TVO dann auch eine Verlagerung des Verkehrsaufkommens in den Berliner Osten mit sich bringt, die wiederum zu Stau und Ausweichverkehr führen könne. Die Lärm- und Schadstoffbelastung in den immer wieder aufgelisteten Straßen hält er für vergleichsweise gering, wenn man sich Straßen wie die Berliner oder Frankfurter Allee anschaue. »Der Blick auf lokale Bezirksprobleme verbaut die Perspektive auf ganz Berlin«, sagt er. 

Was bei der Planung der TVO mitunter auch hinten runterfallen könnte, ist die sogenannte Schienen-TVO, die Nahverkehrstangente, welche auf einem südlichen Teilabschnitt ebenfalls die Strecke abdeckt, für die die Schnellstraße geplant wird. Noch steht die Länge der Bahnstrecke nicht fest, auch weil die Entscheidung, ob hier die S-Bahn oder der Regionalverkehr fahren soll, aussteht. Unter anderem das Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg hatte bereits die Befürchtung geäußert, dass, wenn die Schnellstraße so gebaut werde wie geplant, es nicht mehr möglich sein könne, die Schienen zu bauen. Auch schreibt das Schienen-Bündnis in einem Papier, die TVO mindere letztlich »die Verkehrsnachfrage für die wesentlich umweltfreundlichere Nahverkehrstangente Ost« – ein Aspekt, der zum Problem für die Nutzen-Kosten-Analyse der Bahnstrecke werden könnte. 

Die Schnellstraße würde der Reduzierung des Autoverkehrs in diesem Fall einen Bärendienst erweisen. Doch angesichts der Erzählung von der Bedeutung der TVO, die im Osten den Berlinern in den Kopf gepflanzt wurde, wird gerade im Wahlkampf keine Partei Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Projekts äußern. 

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155519.verkehrswende-guter-asphalt-schlechter-asphalt.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170285.a-schwimmbecken-statt-klimaautobahn.html