nd-aktuell.de / 25.01.2023 / Politik / Seite 1

Werbeplattform für Neonazis

Reichweitenstarke Youtuber gefallen sich als Interviewpartner von Rechten

Sebastian Weiermann

»Michi Brück, Youtube-Star – dein Handy hat die Antifa!« gehörte lange zu den beliebtesten Parolen unter Linken bei Neonaziaufläufen in Dortmund. Michael Brück[1], inzwischen nach Sachsen verzogener neonazistischer Kader aus Dortmund, hatte am Rande einer Kundgebung im Frühjahr 2013 im Handgemenge mit Linken sein Telefon verloren und versucht, in einem weinerlichen Tonfall bei der Polizei Anzeige zu erstatten.

Youtube-Stars ganz anderer Art interessieren sich mittlerweile für die Dortmunder[2] Neonazis. Den Anfang machte vor gut drei Wochen Ahmed Sharif. Auf seinem Youtube-Kanal »Beast Kitchen« geht es gewöhnlich ums Essen. Wie gut ist der Döner im Fünfsternehotel? »Döner für drei Euro, kann das schmecken?«, lautet der Titel eines Videos. Sharif veröffentlicht auch kontroverse Beiträge, in denen der erklärte Fleischliebhaber etwa mit einer veganen Aktivistin diskutiert. Was liegt da näher, als auch mit einem Neonazi essen zu gehen.

Dafür hat Sharif sich den Dortmunder Steven Feldmann ausgesucht. Beide treffen sich im angeblichen Nazikiez Dortmund-Dorstfeld und gehen dort zu einem türkischen Imbiss. Bei Reis und Gemüse – Dönerfleisch will der Neonazi nicht essen – sprechen die beiden locker über Feldmanns Weltanschauung. Dieser plaudert über seine Ausweisungspläne. Sharif und seinem Kameramann fällt nicht viel mehr ein, als zu fragen, ob diese nicht der deutschen Wirtschaft schaden würden. Das Video wurde auf Youtube mittlerweile über 600 000 Mal abgerufen.

Am vergangenen Wochenende erschien das nächste Video mit Steven Feldmann, der wegen zahlreicher Gewaltdelikte vorbestraft ist und mehrere Jahre in Haft saß. Es stammt von »TomSprm«, einem Youtuber, dessen Videos über 83 Millionen Mal aufgerufen wurden und der seinen Kanal so beschreibt: »Ich bin ein normaler Junge, der versucht, die Leute zu unterhalten und zum Lachen zu bringen.« Entsprechend wenig kritische Nachfragen gibt es in dem Video. »TomSprm« lässt sich von Feldmann und anderen Neonazis Geschichten erzählen. Sie können sich dort als harmlos darstellen, vom Staat verfolgt für ihre Musik und ihre Hobbys.

Durch eine Auseinandersetzung mit politischen Ideologien ist »TomSprm« bisher nicht aufgefallen. In anderen Videos befragt er Pornodarstellerinnen auf der Erotikmesse »Venus«, wann sie ihr erstes Mal hatten, oder probiert aus, ob ein Ferrari bei der Anmache hilft. Das auf Youtube veröffentlichte Video mit den Dortmunder Neonazis hat »TomSprm« nach wenigen Stunden wieder gelöscht. Nachfragen nach seiner Motivation für den Dreh mit den Rechten blieben unbeantwortet.

Verärgert über die unwidersprochene Darstellung neonazistischer Ideologie ist man bei der Autonomen Antifa 170 aus Dortmund. Die Aktivistin Kim Schmidt erklärt gegenüber »nd«, dass die Rechten mit ihren »Nazi-Homestorys« die Chance bekämen, »ihre menschenverachtende Ideologie an ein großes Publikum zu vermitteln und nebenbei den Mythos ›Dortmund-Dorstfeld Nazikiez‹ weiterzustricken«. Dabei gebe es diesen »Nazikiez«[3] gar nicht, so Schmidt.

Kim Schmidt ist auch darüber verärgert, dass die Neonazis ihre Propaganda unwidersprochen präsentieren können. Die Videos stellten »eine Werbeplattform für Neonazis und ihre Ideologie« bereit. Es fehle an einer Einordnung des Gesagten, man merke den Youtubern fehlendes Wissen an. Mit dem Tabubruch, Nazis zu interviewen, würden Klickzahlen hochgetrieben. Die Neonazis und ihre Ideologie würden verharmlost. Für Schmidt von der Antifa 170 ist es ein Fehler, überhaupt mit Nazis zu reden. Durch die »geringere Regulation und fehlendes Verantwortungsbewusstsein« entwickle sich in den Videos auf Youtube eine »ganz neue Dimension an Schädlichkeit«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1145925.dortmund-hochburg-mit-rissen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157453.extreme-rechte-nazis-bei-trauermarsch.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155833.dortmund-protest-im-nazi-kiez.html