nd-aktuell.de / 13.02.2023 / Berlin / Seite 1

Schwarze Wand in den Bezirken

Nur mit rot-grün-roten Bündnissen ist der CDU-Dominanz beizukommen

Andreas Fritsche

»Die Linke wurde in Lichtenberg nicht abgestraft, die CDU ist einfach berlinweit durchmarschiert«, analysiert Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) am Montag das Ergebnis der Wiederholungswahl vom Sonntag. Die Zahlen bestätigen seine Version. Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl erzielten die Genossen von Grunst in ganz Berlin 12,2 Prozent, in Lichtenberg lag die Partei bei 18,5 Prozent. Bei der Wahl zur Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) schenkten hingegen 23 Prozent der Einwohner des Bezirks der Liste von Bezirksbürgermeister Grunst ihr Vertrauen.

Lichtenberg war immer eine Hochburg der Sozialisten und bleibt es. Schon in den 1990er Jahren stellte die PDS mit Wolfram Friedersdorff und Bärbel Grygier in den beiden damals noch selbstständigen Bezirken Lichtenberg und Hohenschönhausen die Rathauschefs. Das setzte sich nach der Fusion zum Großbezirk im Jahr 2001 fort. Aber seit Sonntag ist Die Linke erstmals nicht mehr stärkste Kraft, denn die CDU hat sie um 0,8 Prozentpunkte überflügelt.

Was das für den Posten des aktuellen Bezirksbürgermeisters Grunst bedeutet, muss sich nun zeigen. »Das werden die Gespräche ergeben«, sagt er. Seiner Ansicht nach müssen sich die Landesverbände von SPD, Grüne und Linke überlegen, ob sie weiterhin den Berliner Senat bilden, aber dann eine Wand von neun CDU-Bezirksbürgermeistern gegen sich haben wollen. Denn nur in drei von zwölf Berliner Bezirken liegen die Christdemokraten jetzt nicht an der Spitze. Das sind Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg, wo sich die Grünen durchsetzen konnten.

Michael Grunst empfiehlt, in den Bezirken möglichst durchgängig rot-rot-grüne Bündnisse zu schmieden, damit in Berlin die Koalition »ordentlich regieren kann«. Was Berlin am Sonntag mit der CDU erlebt hat, sieht der Bezirksbürgermeister als eine »große Protestwahl« an. Bei der nächsten Wahl im Jahr 2026 könnte es unter Umständen schon wieder ganz anders aussehen. Nach Ansicht von Grunst müssten die Linkspartei und die Koalition »jetzt die richtigen Schlussfolgerungen ziehen«. Notwendig sei eine Politik nicht nur für die Innenstadt, das Land müsse auch außerhalb des S-Bahn-Rings investieren. Warum dort nicht auch einmal eine Behörde ansiedeln? »Für Wohnungsbau sind wir immer gut genug«, kritisiert Grunst. Dass die Bürger in den Außenbezirken sich vom Senat vernachlässigt fühlen, hat der Politiker im Wahlkampf oft von ihnen gehört – er teilt diesen Eindruck.

Im Innenstadtbezirk Friedenshain-Kreuzberg, in dem bei der Bezirksreform 2001 der alte Westberliner Szenebezirk Kreuzberg und das zu Ostberlin gehörende Friedrichshain vereinigt worden sind, erzielte Die Linke am Sonntag 20,6 Prozent und landete damit vor SPD und CDU auf Rang zwei. Das drittbeste Ergebnis gab es in Pankow, einem alten Ostberliner Bezirk mit starkem Zuzug aus Westdeutschland und aus westeuropäischen Staaten. Mit Sören Benn stellt die Partei hier ihren zweiten noch verbliebenen Bezirksbürgermeister. Ob er sich halten kann, ist noch die Frage. Schon bei der Wahl im September 2021, die im November 2022 vom Berliner Verfassungsgerichtshof für ungültig erklärt nun komplett wiederholt wurde, waren die Grünen in Pankow stärker als Die Linke. Nun ist auch noch die CDU an ihr vorbeigezogen. Sören Benn ist Bezirksbürgermeister mit Stimmen der SPD und halb geheim mit Stimmen der CDU[1], die Benn deshalb bekommen hat, weil seine Kontrahentin Cordelia Koch von den Grünen als nicht geeignet für das Amt angesehen wurde. Es ist schwer vorherzusagen, wie es hier nun weitergeht. »Politische Entscheidungen werden gemeinsam in den zuständigen Gremien von Partei und Fraktion getroffen und nach etwaigen politischen Verhandlungen mit demokratischen Parteien«, erklärte die Linke-Bezirksvorsitzende Sandra Brunner. »Wir warten diese Beratungen
und Verhandlungen respektvoll ab.«

Formaljuristisch sind sämtliche Bezirksbürgermeister und Bezirksstadträte für die Zeit bis zur nächsten regulären Berlinwahl im Jahr 2026 ernannt und dürften ungeachtet der Wiederholungswahl im Amt bleiben. Sie könnten aber auch zurücktreten und sich eine neue Legitimation durch die Bezirksparlamente verschaffen oder abgewählt werden.

Die CDU hat in sämtlichen Bezirken stark zulegt. Die Zugewinne reichen von 7,2 Prozentpunkten in Mitte bis zu 12,3 Prozentpunkten in Spandau. Die FDP, die berlinweit unter fünf Prozent rutschte und damit die Hürde für einen Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus nicht überwinden konnte, hat auf Bezirksebene Glück, weil es hier nur eine Drei-Prozent-Hürde gibt. So sind die Liberalen in zehn von zwölf Bezirksverordnetenversammlungen noch vertreten.

Auch die SPD büßte flächendeckend ein. Bei ihr reicht die Spanne von minus 1,2 Prozentpunkten in Friedrichshain-Kreuzberg bis minus 4,6 in Neukölln – der politischen Heimat der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey. Die Grünen verzeichneten geringe Verluste von maximal minus 1,7 Prozentpunkten in Reinickendorf. In Tempelhof-Schöneberg konnten sie sich mit plus 0,1 Prozentpunkten sogar leicht verbessern. Die Tierschutzpartei schaffte den Wiedereinzug in vier Bezirksverordnetenversammlungen, die Satiretruppe Die Partei konnte sich in einer BVV halten.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158377.buergermeisterwahl-besichtigung-der-pankower-sollbruchstellen.html?