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Glas im Herzen

Berlinale Panorama: »Sisi & Ich« stellt unter Beweis, dass das Kaiserinnendasein nichts ist für eine selbstbewusste Frau

Kein steifes Zeremoniell bei Hofe: In »Sisi & Ich« erhält man Einblicke in eine Frauen-WG voller Leben.
Kein steifes Zeremoniell bei Hofe: In »Sisi & Ich« erhält man Einblicke in eine Frauen-WG voller Leben.

Sisi und kein Ende. Jede Generation arbeitet sich an Kaiserin Elisabeth ab und wird durch ihr vermeintlich schillerndes Leben im goldenen Käfig der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie zu neuen Filmen inspiriert. Gerade erst im letzten Jahr stellte Marie Kreutzer in »Corsage« Sisi als alternde Kaiserin vor, die ob des Verlustes ihrer Vorbildfunktion als jugendliches Schönheitssymbol in eine Sinnkrise gerät. »Alternd« meint in diesem Fall über 40, ein Alter, in dem nach herkömmlicher Lesart Männer interessant und Frauen unsichtbar werden.

Jeder neue Sisi-Film ist natürlich ein Spiegelbild der jeweiligen Verhältnisse, und die Kaiserin dient lediglich als Projektionsfläche für eine zeitgenössische Erzählung. So auch »Sisi & Ich«, der Panorama-Beitrag von Regisseurin Frauke Finsterwalder. Bekannt wurde sie mit ihrem Erstlingsfilm »Finsterworld« (2013), einer pessimistisch grundierten Auseinandersetzung mit deutschen Obsessionen. Das Drehbuch schrieb sie damals wie heute gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht.

Auch bei ihr ist Sisi (Susanne Wolff) bereits eine reife Frau, die vor der für sie vorgesehenen Rolle als Kaiserin und Ehefrau nach Griechenland geflohen ist und dort dem Müßiggang jenseits höfischer Konventionen frönt. Den Verlust ihrer Jugendlichkeit kompensiert sie mit einem Fitnesswahn, zu dem lange Wanderungen, Abführmittel und strenge Diäten gehören. Ihre alte Hofdame ist dem konditionell nicht mehr gewachsen. Auf der Suche nach Ersatz fällt die Wahl auf Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller), die der launischen und sprunghaften Kaiserin bei der Zerstreuung zu Diensten sein soll.

Das sommerliche Treiben auf Korfu gleicht dabei mehr einer Hippie-Kommune als dem, was sich der Zuschauer gemeinhin unter einem Leben bei Hofe vorstellt. Schnell wird klar, dass sich die Regisseurin einen Teufel um historische Genauigkeit schert, diese eher als hinderlich empfindet. Sandra Hüller erzählte im Interview, Finsterwalder habe ihnen regelrecht verboten, eigene Recherchen anzustellen oder gar das Sisi-Museum in Wien zu besuchen.

Des üblichen Korsetts muss sich Irma gleich zu Beginn ihrer Anstellung entledigen – dieses Symbol der Unterwerfung unter den männlichen Blick auf den weiblichen Körper passt nicht in die freigeistige Atmosphäre. Schon bald kommen sich Irma und Sisi nahe und werden unzertrennlich. Ein gleichberechtigtes Miteinander ist freilich nicht vorgesehen, das Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis bleibt bestehen, und Sisi weiß geschickt mit Emotionen, Stimmungen und der Gewährung ihrer Gunst zu spielen. »Es war in ihrer Gegenwart, als habe jemand alles Licht der Welt auf einen gerichtet«, schreibt Gräfin Irma an ihre Mutter, »und wenn sie das Licht wieder von einem wegnahm, war es, als würde einem ein spitzes Stück Glas ins Herz gerammt.«

Das Leben in der Frauen-WG nimmt bisweilen homoerotische Züge an, und wenn der schwule Erzherzog Ludwig (großartig: Georg Friedrich) zu Besuch kommt, wird es frivol. Susanne Wolff und Sandra Hüller können in ihren Rollen als Sisi und Irma ihr schauspielerisches Potenzial unter Beweis stellen, und der Zuschauer darf erleben, wie zwei Naturgewalten aufeinander losgelassen werden und sich gegenseitig an die Wand spielen. Unterstützt wird das durch expressive Kostüme und eine aufwendige Ausstattung, die zwar historische Authentizität komplett negieren, deshalb aber nicht weniger märchenhaft sind. Der Retrolook – gedreht wurde auf 16-Millimeter-Film – unterstützt die cineastische Pracht. Der poppige Soundtrack wiederum stellt den Bezug zur Gegenwart her.

Worum es der Regisseurin geht, wird deutlich, als Kaiser Franz die Rückkehr nach Wien befiehlt. Das klandestine Treiben der Gattin ist ihm schon lange suspekt, und die einzig denkbare Lösung ist für ihn, die Kontrolle über seine Frau und ihren Körper zurückzugewinnen. Bei Zuwiderhandlung wird mal eben en passant die Gattin vergewaltigt, und auch sonst ist weibliche Selbstbestimmung nichts als lästiger Firlefanz. In ihrem Widerstand gegen die Rolle des verhuschten Heimchens, wie sie Romy Schneider in der wohl berühmtesten Sisi-Verfilmung von 1955 noch verkörperte, wird die Sisi von heute zum Modell weiblichen Widerstandsgeistes. Das Dasein als Kaiserin ist bei Finsterwalder ein unmöglicher Zustand für eine Frau, die alleine denkt und etwas will. Letztlich muss Sisi aber doch scheitern mit ihrer Weigerung, sich in das traditionelle Geschlechtersystem zu fügen.

»Sisi & Ich« versammelt so feministische Diskurse der Gegenwart. In ihrer Frage nach der Möglichkeit eines selbstbestimmten weiblichen Lebens in einer patriarchalen Gesellschaft ähnelt der Film einem Wettbewerbsbeitrag der diesjährigen Berlinale, Margarethe von Trottas »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«. In beiden Filmen kämpfen starke Frauen gegen die ihnen auferlegte Rolle und gegen die Bevormundung durch ein System, in dem letztlich auch die Männer Opfer sind.

»Sisi & Ich«: Deutschland, Schweiz, Österreich 2023. R: Frauke Finsterwalder. Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht. Mit Susanne Wolff, Sandra Hüller und Georg Friedrich. 132 Minuten. Weiterer Termin: 25.2., 18.30 Uhr, Zoopalast 1.

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