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  • Deutsches Theater Berlin: »Am Strand der weiten Welt«

Einiges zu feiern

Am Deutschen Theater Berlin hat Daniela Löffner Simon Stephens’ »Am Strand der weiten Welt« inszeniert

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Entfremdung in der Familie: »Am Strand der weiten Welt« am Deutschen Theater Berlin
Entfremdung in der Familie: »Am Strand der weiten Welt« am Deutschen Theater Berlin

Die hohe Dichte an Theatern in Berlin führt zu einer inhaltlichen Ausdifferenzierung. Jedes Haus setzt seine Schwerpunkte. So steht die Volksbühne in der Tradition intellektueller Dissidenz, während sie am Gorki Volkstheater für die postmigrantische Gesellschaft veranstalten und die Schaubühne mit einem starbesetzten Ensemble auf politische Wirksamkeit zielt. Das Deutsche Theater wird dagegen mit beflissener Kanonpflege verbunden, mit der Förderung von Gegenwartsdramatik, vor allem aber mit gediegenem Schauspielertheater. Aber stimmt das? Nicht ganz, denn diese Sicht auf das Programm ist der Anfangszeit der mittlerweile 13 Jahre währenden Intendanz Ulrich Khuons geschuldet, die mit dieser Spielzeit endet.

Inzwischen zeichnet sich das DT durch große Vielfalt aus. Die maßgeblichen Ästhetiken des letzten Jahrzehnts sind vertreten, es soll für jeden etwas dabei sein. René Pollesch, Ulrich Rasche oder Sebastian Hartmann, die auf ihre jeweiligen Weisen dem psychologischen Literaturtheater entsagen, haben hier in den letzten Jahren regelmäßig gearbeitet. Daniela Löffners Ästhetik hingegen stimmt ganz mit dem Image des Theaters überein. In ihren auf die Schauspielführung konzentrierten Arbeiten kommt das Deutsche Theater zu sich und nach Hause. Mit der bis heute gespielten Turgenjew-Adaption »Väter und Söhne« wurde Löffner 2016 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Später brachte sie hier Maxim Gorki, Gerhart Hauptmann und Brigitte Reimann mit großen Ensembles auf die Bühne. Der Zuspruch des Publikums war ihr stets sicher.

Es überrascht ein wenig, dass sich die 1980 geborene Regisseurin für ihre neue Inszenierung in den Kammerspielen ein älteres Stück von Simon Stephens ausgesucht hat. Stephens ist zwar einer der erfolgreichsten britischen Dramatiker, doch verschwinden auch seine Stücke, wie bei Gegenwartsdramatik üblich, bald nach der Erstaufführung von den Spielplänen. Diese Geschichte wirkt zudem etwas dürftig im Verhältnis zur ausgestellten Feierlichkeit, mit der Löffner ihren Regiebaukasten öffnet. Immerhin: Inhaltlich passt der Stoff. In »Am Strand der weiten Welt« finden sich zahlreiche Themen wieder, die man aus Löffners Inszenierungen bestens kennt: Generationenprobleme, Milieustudien, Verlusterfahrung.

Das Figurenpersonal bildet eine Familie. Da wären zwei Söhne im Teenageralter. Alex, der ältere, hat gerade seine erste Freundin. Christopher, der jüngere, ist ebenfalls in diese verliebt. Ihre Eltern führen eine Ehe, die etwas mehr zur Routine denn zum Glück neigt, was beide aber nicht besonders zu stören scheint. Der Großvater tendiert zu seelischer Grausamkeit gegenüber seiner Frau, weiß aber auch sehr gut, dass er ohne sie hilflos wäre. Eine vergleichsweise durchschnittliche Familie hat sich hier zusammengefunden. Doch dann stirbt der jüngere Sohn bei einem Unfall. Mit diesem Schicksalsschlag verlieren alle Figuren ihre Balance, bereits zuvor angedeutete Schwächen werden zu existenziellen Verhängnissen. Die Eltern entfremden sich, der Großvater hängt an der Flasche, der verbliebene Sohn flüchtet nach London.

Auf einer weißen Drehbühne treten die Darsteller einander entgegen, spielen konzentriert und überwiegend dezent, blicken nur ab und zu Richtung Publikum, verbleiben aber in intimer Distanz zu ihm. Nichts Menschliches ist diesem Theater fremd, man soll hier alles sehen können, doch will man sich auch nicht aufdrängen. Das Ensemble hat ein entspanntes Verhältnis zu den eigenen Ausdrucksmitteln. Hier wurde genau genug geprobt, um vergessen zu lassen, dass Spiel ja auch Arbeit ist, dass es auf eine Disziplinierung, auf eine Kontrolle der Stimme, der Gesten, der Situation hinausläuft. Stattdessen gerät es über weite Strecken in einen organischen Fluss.

Im Hintergrund stehen ein Kühlschrank, eine Leiter und einige Möbel herum. Wer von den Schauspielern gerade nicht spielt, setzt sich dort hin, schaut den Kollegen zu. Man kennt diese Anlage vom großen Regisseur Jürgen Gosch, dem Löffner einst assistierte und dessen Arbeiten den Ruf des Hauses bis heute stark prägen. »Schauspielerfeste« nannte man seine und nennt man heute auch Daniela Löffners Produktionen. Und es gibt einiges zu feiern. Es sind vor allem die jüngeren und ganz jungen Schauspieler, die hier glänzen. Der 2005 geborene Jona Gaensslen spielt sehr eindrücklich den etwas sonderlichen, einsamen und sehr verlorenen Christopher und singt nach dessen Tod virtuos-traurig Songs von Nick Cave. Wassilissa List taumelt bedrückend zwischen Depression und Übermut hin und her. Auch Niklas Wetzel sieht man gerne zu, wie sein schüchterner Alex nach dem Tod des Bruders allzu hastig altern muss. Peter René Lüdicke und Barbara Schnitzler erzählen derweil viel Wahres und Schlimmes über Entscheidungen, die man einmal trifft und für immer bereut. Ein sehens-, hörens- und fühlenswerter Abend.

Nächste Vorstellungen: 4., 5. und 21.3.
www.deutschestheater.de

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