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  • Bericht der Wehrbeauftragten

Begleittöne zur Aufrüstungspolitik

Die Wehrbeauftragte Eva Högl beklagt in ihrem Jahresbericht, dass die Bundeswehr zu kurz komme

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Wozu anschaffen, wenn zu wenige Soldaten da sind, die es nutzen? Helm und kugelsichere Weste der Bundeswehr in Mali
Wozu anschaffen, wenn zu wenige Soldaten da sind, die es nutzen? Helm und kugelsichere Weste der Bundeswehr in Mali

Mitten im Haushaltsstreit der rot-grün-gelben Koalition bringen sich Lobbyisten in Stellung, die mehr Geld für die Bundeswehr fordern. Eine von ihnen ist die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl. Die SPD-Politikerin stellte am Dienstag ihren Jahresbericht 2022 vor. »Die Bundeswehr hat von allem zu wenig«, beklagte Högl. Zwar hatte ihr Genosse und Kanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr eine »Zeitenwende« ausgerufen, die ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr vorsieht, doch sei 2022 »leider noch kein Cent« bei den Soldatinnen und Soldaten angekommen, so Högl.

Das klingt aus ihrer Sicht dramatisch. Allerdings braucht die Herstellung anspruchsvoller neuer Ausrüstung einige Zeit. Außerdem hatte das Verteidigungsministerium zu Beginn dieses Jahres mitgeteilt, dass 30 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen bereits für größere Anschaffungen vorgesehen seien. Die Aufrüstung schreitet also voran.

Warum also die Behauptung von Högl? Offensichtlich soll die Situation der Streitkräfte so besorgniserregend klingen, damit in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, hier müsse viel mehr getan werden. Im Bericht der Wehrbeauftragten heißt es, dass nach Einschätzung von Experten »eine Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro« notwendig sei, um die volle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte herzustellen. Einer dieser sogenannten Experten, die sich öffentlich immer wieder zu diesem Thema äußern, ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. Der Oberst a. D. betätigte sich lange als Lobbyist für die Bundeswehr und war von 2011 bis 2016 Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius hingegen war zuletzt etwas bescheidener. Der Sozialdemokrat hatte 10 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr gefordert. Dies ist aus Sicht von Pistorius notwendig, um die zugesagte Modernisierung der Streitkräfte und das dauerhafte Erreichen des Nato-Ziels zu garantieren, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär auszugeben.

Finanzminister Christian Lindner ist diesbezüglich zurückhaltend. Der FDP-Politiker plädierte dafür, zunächst das Geld aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr zu verwenden, das außerhalb des eigentlichen Haushalts zur Verfügung steht. Lindner will im kommenden Jahr die sogenannte Schuldenbremse einhalten, ohne Spitzenverdiener und Vermögende stärker zu besteuern. Deswegen ist er im Konflikt mit diversen Ministerien, deren Geldwünsche er bisher abgeblockt hat.

Högl will nun mit ihrem Bericht die Minister unter Druck setzen. Die Bundesrepublik hatte die Ukraine zuletzt verstärkt mit Waffen und weiterer Militärhilfe unterstützt. Das abgegebene Material müsse zügig ersetzt werden, forderte die SPD-Politikerin. Sie betonte, dass die Bundeswehr im vergangenen Jahr »gefordert wie nie zuvor« gewesen sei. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe alles verändert. »Die Truppe musste von einem Tag auf den anderen vom Friedensmodus in den Bereitschaftsmodus schalten«, meinte die Sozialdemokratin. Die Bundeswehr leiste einen großen Beitrag zur Verstärkung am östlichen Rand der Nato.

Völlig neu ist dieses Engagement allerdings nicht. In der Ukraine herrscht bereits seit 2014 Krieg, der sich allerdings zunächst nur auf den Osten des Landes beschränkte. Nach den russischen Angriffen im vergangenen Jahr hat der Krieg eine neue Dimension erreicht. Die Bundesrepublik und ihre Partner hatten schon 2014 reagiert. Seitdem gibt es auch eine Nato-Mission an der sogenannten Ostflanke des Bündnisses, an der die Bundeswehr teilnimmt. Der multinationale Gefechtsverband in Litauen steht seit 2017 unter deutscher Führung.

Angesichts der Gefahr eines sich ausweitenden Krieges in Europa ist es für viele junge Menschen derzeit offenbar nicht sonderlich attraktiv, zur Bundeswehr zu gehen. Die Wehrbeauftragte verwies darauf, dass sich die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber im vergangenen Jahr mit einem Minus von elf Prozent erheblich verringert habe. Die Personalstärke betrug demnach 183 051 Soldatinnen und Soldaten, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr.

»Bis zum Ziel, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 203 000 im Jahr 2031 zu erhöhen, ist es noch ein langer Weg«, konstatierte Högl. Neben dem weiter steigenden Altersdurchschnitt macht ihr auch der Anstieg der Abbrecherquote Sorgen. Nicht nur zahlenmäßig soll die Bundeswehr aufgestockt werden, auch bei der Diversität sieht Högl noch Luft nach oben. »Eine Herausforderung bleibt, das Werben um Frauen zu erhöhen«, heißt es in ihrem Bericht. Darin wird zudem bemängelt, dass Frauen in höheren Besoldungsgruppen nur schwach vertreten seien.

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