nd-aktuell.de / 16.03.2023 / Kultur / Seite 1

Ein Ausschnitt als Remake

Museyroom (Teil 3): Das Museum Judengasse in Frankfurt am Main

Jürgen Schneider
Die Ostzeile der Judengasse (um 1880). Die Westseite war schon abgerissen, der Rest teilweise verfallen. Am linken Bildrand ist die 1860 eingeweihte Hauptsynagoge zu erkennen. Die rekonstruierten Fundamente der Häuser rechts sind im Museum Judengasse zu besichtigen. Bei der Freilegung 1987 wurden noch mehr Fundamente gefunden, aber trotz der Proteste abgetragen.
Die Ostzeile der Judengasse (um 1880). Die Westseite war schon abgerissen, der Rest teilweise verfallen. Am linken Bildrand ist die 1860 eingeweihte Hauptsynagoge zu erkennen. Die rekonstruierten Fundamente der Häuser rechts sind im Museum Judengasse zu besichtigen. Bei der Freilegung 1987 wurden noch mehr Fundamente gefunden, aber trotz der Proteste abgetragen.

Heinrich Heine besuchte 1827 in Frankfurt am Main den Publizisten, Literatur- und Theaterkritiker Carl Ludwig Börne. Börne zeigte laut Heine »im gemütlichsten Hundetrapp« seinem Besucher die Stadt inklusive der Judengasse, in der Börne 1786 als Löb Baruch geboren worden war. Im Ersten Buch seiner Börne-Denkschrift notierte Heine: »(…) die Häuser jener Straßen sahen mich an, als wollten sie mir betrübsame Erinnerungen erzählen, Geschichten, die man wohl weiß, aber nicht wissen will, oder lieber vergäße, als daß man sie ins Gedächtniß zurückriefe.«

Juden siedelten bereits im 12. Jahrhundert in Frankfurt. Die ältesten Wohnsitze lagen im Zentrum der Stadt. 1462 mussten die Juden in die neu angelegte Judengasse übersiedeln, die vom Rest der Stadt getrennt war. Bereits 1442 hatte Kaiser Friedrich III. die Entfernung der Juden aus der unmittelbaren Umgebung des Domes verlangt, da das »geschrei in der Synagog« den christlichen Gottesdienst störe. Die Judengasse wurde zum ersten Ghetto Europas, in dem die Juden, so Isidor Kracauer 1906 in einem Vortrag über die Geschichte der Judengasse, »in Knechtschaft und Schwäche«, in permanenter Gefahr für Leib und Leben zu existieren gezwungen waren.

Von 1462 bis etwa 1800 war dies der einzige Ort in Frankfurt, in der Jüdinnen und Juden wohnen durften. Die Zwangssiedlung war von Mauern umgeben, und ihre drei Tore waren nachts und an christlichen Feiertagen geschlossen. Ursprünglich von 150 bis 200 Personen bewohnt, erlebte die Judengasse im 16. Jahrhundert einen erheblichen Bevölkerungszuwachs. Die Zahl der Bewohner stieg auf etwa 2700 an. Frankfurt wurde zu einem der bedeutendsten Zentren jüdischen Lebens in Europa.

Zwei Großbrände zerstörten 1711 und 1721 die Judengasse, und viele Familien gerieten in Not. Zwischen 1867 und 1887 wurde die Bebauung abgerissen. Am südlichen Ende der Judengasse entstand die Börneplatz-Synagoge, die 1938 während des Novemberpogroms zerstört wurde. Die Kompostell-Synagoge, außerhalb des Ghettos in einem abgeschiedenen Hof errichtet, überstand die Progromnacht unbeschadet und wurde später durch alliierte Bomben nur leicht beschädigt. Die Stadt nutzte sie nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang als Lager. Und an der Stelle der einstigen Judengasse entstand die Kurt-Schumacher-Straße: Es wurde eine Stadtlandschaft kreiert, die den leicht gekrümmten Verlauf der Judengasse völlig überdeckte und so dem Vergessen anheimgab.

»Die Steine des Frankfurter Ghettos« – so der Architekt Max Bächer – »schlummerten wie tausend andere unter der Stadt, wo deren Geschichte vergraben liegt, und sich ihr Gedächtnis in den Fundamenten eingeprägt hat.« Nur der nach 1260 angelegte und bis 1828 von der Jüdischen Gemeinde belegte angrenzende Friedhof blieb versehrt »erhalten«; mehr als zwei Drittel der über 6500 Grabsteine wurden 1942 im Auftrag der Nazi-Stadtverwaltung zerschlagen – die Begräbnisstätte sollte als »Schuttabladeplatz« dienen. Im selben Jahr wurde die Jüdische Gemeinde vollständig vernichtet. Wer sich nicht ins Ausland retten konnte, wurde deportiert. 12 000 Frankfurter Juden wurden in den Konzentrationslagern ermordet.

1987 traten beim Aushub der Baugrube für ein neues Kundenzentrum der Stadtwerke Frankfurt, im Volksmund auch Gaswerke genannt, 19 Fundamente der Ghetto-Häuser zutage. Die Jüdische Gemeinde, Bürgerinitiativen, wissenschaftliche und kulturelle Institutionen sowie die Kirchen forderten den Erhalt sämtlicher Funde an Ort und Stelle. Die Stadtwerke und Stadtoberen wollten davon nichts wissen. Dabei ging es um die grundsätzliche Frage der Bedeutung von Zeugnissen jüdischer Geschichte in Deutschland nach dem Holocaust[1]. Mit der polizeilichen Räumung des von Protestierenden besetzten Ausgrabungsgeländes und dem Abräumen der historischen Fundamente setzte die Stadt gewaltsam einen Kompromissvorschlag durch, im Untergeschoss des Neubaus fünf Hausfundamente, zwei Mikwoth (Ritualbäder) und einen Brunnen zu rekonstruieren und das so entstehende Museum Judengasse dem Jüdischen Museum als Dependance zu überantworten.

Die Geschichte der Judengasse wurde, so heißt es im Katalog »Die Frankfurter Judengasse«, erschienen bei C. H. Beck, in ein »jüdisches Eck« entsorgt. Bei den Protesten des Jahres 1987 war ein Großtransparent mit der Aufschrift »Am Börneplatz entsteht ein Museum für Geschichtsentsorgung« zu sehen. Von dem Spruch des Propheten Habakuk »Ja, der Stein in der Mauer schreit und der Balken im Holzwerk antwortet ihm« wollten die für den Stadtwerke-Neubau Verantwortlichen nichts wissen. Der damalige Ministerpräsident von Hessen Walter Wallmann[2] (CDU) erklärte: »Wir brauchen an dieser Stelle (dem Börneplatz) kein Mahnmal, denn die gefundenen Fundamente sind kein Anlass zur Scham …« Also wurden, wie es in einem Gedicht von Hans Arp von 1945 heißt, »Trümmer in große düstere Schränke« geräumt.

Neben dem Remake der genannten Fundamente sind in dem 1992 eröffneten Museum Alltagsgegenstände aus der Judengasse zu sehen, die zeigen, dass die jüdische Gemeinschaft kein vom Rest der Stadt isoliertes Leben führte, sondern auf vielfältige Weise mit den anderen städtischen Gruppen verbunden war. Das lässt sich etwa an den Chanukka-Leuchtern verdeutlichen, die zwar eine rituelle Bedeutung haben, aber eben auch Produkt christlicher Handwerkskunst sind.

Neben dem jüdisch-christlichen Beziehungsgeflecht wird im Museum auch die Vielfalt der Berufe beleuchtet, die Gelehrsamkeit der Rabbiner, die Welt der jiddischsprachigen Literatur wie auch die Verwendung von Textilien aus zweiter Hand als Tuch zur Einwicklung des Brotes, das an Pessach gegessen wird. Erhellende Erklärungen geben Aufschluss über die ordentlich konservierten Exponate, während draußen die Gedenkstätte für die aus Frankfurt deportierten Jüdinnen und Juden einen verwahrlosten Eindruck macht. Die mit den Namen der Deportierten und Ermordeten versehenen kleinen Quader ragen aus der Mauer des Jüdischen Friedhofs heraus, von der der Putz bröckelt.

Museum Judengasse, Battonnstraße 47, Frankfurt am Main, Di bis So 10 bis 17 Uhr.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165152.holocaust-verstummt-und-vergessen.html?sstr=holocaust|serie
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1054554.unten-links.html?sstr=walter|wallmann