nd-aktuell.de / 23.03.2023 / Berlin / Seite 1

Brandenburg: Im Landtag kollabiert die Menschlichkeit

Wer Waffen exportiert und die Meere leerfischt, dürfte Flüchtlinge nicht zurückweisen

Andreas Fritsche

Knapp 40 000 Flüchtlinge hat das Land Brandenburg im vergangenen Jahr aufgenommen. Dieses Jahr sind weitere 26 000 prognostiziert. Doch die Aufnahmekapazitäten in den Kommunen sind fast erschöpft. Die Landkreise konnten noch nicht alle ukrainischen Frauen und Kinder, die nicht sofort bei Verwandten und Bekannten in Deutschland unterschlüpften, mit Wohnungen versorgen. Es leben noch welche in den Asylheimen. Wenn jetzt noch Afghanen, Iraner und andere ankommen – der Zustrom von Ukrainern ist fast vollständig versiegt –, so wird es auch in den Schulen und Kitas eng.

Deshalb will die rot-schwarz-grüne Landesregierung den Kommunen etwas Luft verschaffen. Sie sollen Zeit bekommen, mit finanziellen Zuschüssen vor allem neue Unterkünfte zu stellen. Unterdessen sollen Flüchtlinge länger in der Erstaufnahme des Landes ausharren. Auf bis zu 18 Monate soll die Verweildauer dort erhöht werden, mit einer Ausnahmeregelung sogar eventuell auf bis zu 24 Monate. Geflüchtete, deren Asylantrag offensichtlich unbegründet ist, also mit ziemlicher Sicherheit abgelehnt wird, sollen gar nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden. Gleiches soll für diejenigen gelten, die ohne Pass eintreffen und die Feststellung ihrer Identität behindern, indem sie sich beispielsweise weigern, Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Wer früher schon einmal einen Asylantrag gestellt hatte, der abgelehnt wurde, soll ebenfalls in der Erstaufnahme verbleiben. Gleich von dort aus soll dann die Abschiebung organisiert werden.

Damit das alles so laufen kann, will das Innenministerium die Zahl der Plätze in der Erstaufnahmeeinrichtung kurzfristig von 5000 auf 8000 erhöhen. Im Gespräch ist dabei auch, ein altes Hotel in Frankfurt (Oder) als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Es diente früher schon einmal diesem Zweck. Brandenburgs SPD-Fraktionschef Daniel Keller sieht das allerdings skeptisch. Denn für ihn liegt Frankfurt (Oder) zu nahe an der zentralen Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt. Diese befindet sich etwa 30 Kilometer die Oder flussaufwärts. Die Filialen sollten aber besser über das Bundesland verteilt sein.

Die von Innenminister Michael Stübgen (CDU) zur Abwicklung vorgesehene Außenstelle in Doberlug-Kirchhain, die vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben wird, soll nun doch nicht komplett aufgegeben werden. Allerdings wird an dem Plan festgehalten, das Objekt an den Landkreis Elbe-Elster zu übergeben, der dann seinerseits in der früheren Kaserne Geflüchtete unterbringen soll. Nur will sich das Land die Möglichkeit offenhalten, einige der dort vorhandenen 1000 Plätze selbst zu belegen – also weiter für die Erstaufnahme zu sichern. Wie die Abgeordnete Andrea Johlige (Linke) dem Innenminister am Mittwoch im Landtag vorhält, würde das aber bedeuten, dass 35 noch verbliebene Mitarbeiter in der kommenden Woche vom DRK ihre Kündigung erhalten. Die übrigen 30 Mitarbeiter hätten sich schon etwas Neues gesucht. Das sei ein Problem, weil man so die Fachkräfte verliere, die sich später in der Region sicherlich nur schwer wieder auftreiben ließen, warnt Johlige. Sie setzt sich bereits seit Juni vergangenen Jahres dafür ein, an dem Standort in Doberlug-Kirchhain festzuhalten[1]. Damals war sie von der Betriebsratsvorsitzenden Carolin Steinmetzer-Mann in dieser Sache zu Hilfe gerufen worden.

CDU-Politiker Stübgen weckt am Mittwoch in der Aktuellen Stunde des Landtags einmal mehr Ängste wegen der »andauernd hohen Zahl« ankommender Flüchtlinge. Wörtlich sagt er: »Der Druck in den Städten und Gemeinden ist hoch, sehr hoch.« Dass passt zu seinen früheren Äußerungen. Er hatte von »Asyltouristen« gesprochen, eine »Migrationsbremse« gefordert und vor einem »Kollaps« gewarnt.

Linksfraktionschef Sebastian Walter kontert: »Das einzige, was bei Ihnen kollabiert, ist die Menschlichkeit.« Das Land Berlin habe im vergangenen Jahr 10 000 zusätzliche Plätze für die Aufnahme von Flüchtlingen geschaffen, während Brandenburg noch den Standort Doberlug-Kirchhain schließen wollte. »Hören Sie auf, Angst zu machen«, verlangt Walter. »Die Menschen, die kommen nicht, um uns etwas wegzunehmen. Sondern sie kommen deshalb, weil wir ihnen etwas weggenommen haben, weil wir ihnen mit unserer Politik in Deutschland und Europa ihre Zukunft stehlen.« Wenn man über Flüchtlinge rede, müsse man auch über Fluchtursachen reden. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Waffenexporte nach Saudi-Arabien massiv angestiegen und damit in einen Staat, der im Nachbarland Jemen »einen der brutalsten Kriege unserer Zeit führt«. Man müsse darüber sprechen, woher das Lithium für die Handyakkus komme, »welche Märkte wir zerstören, wo wir die Meere leerfischen, wessen Umwelt wir kaputt machen«. Walter schlussfolgert: »Wer so eine Politik macht, muss sich doch nicht wundern, wenn das Elend irgendwann bei uns an die Tür klopft.«

Der Linksfraktionschef erwähnt den Afghanen, der 5000 Kilometer zur Fuß nach Deutschland läuft, damit seine Töchter die Schule besuchen können, was Mädchen von den radikalislamischen Taliban in der Heimat verwehrt wird. Er spricht von der georgischen Familie, die in die Bundesrepublik kommt, damit ihr krebskrankes Kind hier behandelt wird. Ganz nach rechts gewandt formuliert der Politiker: »Dass Sie von der AfD gleich blöde dazwischen lachen, das zeigt, dass Sie sich diese Schicksale nicht vorstellen können.« Walter verweist auf 383 Geflüchtete, die von Jahresbeginn bis 1. März im Mittelmeer ertrunken sind. »Es ist einzig das Glück der Geburt, das uns von diesen Menschen unterscheidet.« Wenn zurückgewiesen wird, wer aus sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik einreist, müsste künftig mit dem Fallschirm abspringen, wer überhaupt noch hier Zuflucht erhalten wolle.

Auch Grünen-Fraktionschefin Petra Budke sieht es »sehr kritisch«, dass Innenminister Stübgen von »Asyltouristen« spricht und CDU-Fraktionschef Jan Redmann die Asylverfahren an die EU-Außengrenzen verlegen will. »Abschiebungen bringen den Kommunen kaum Entlastung«, ist Budke überzeugt. Denn die meisten Flüchtlinge kämen aus Ländern, in die man niemanden abschieben könne.

Sozialministerin Ursula Nonnemacher bemerkt, viele Engpässe bei Kitas, Schulen und Arztpraxen hätten nicht allein mit Flüchtlingen zu tun, sondern auch mit der Ansiedlung der Tesla-Autofabrik in Grünheide, der Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld und mit dem ungebrochenen Zuzug aus Berlin.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164416.asylpolitik-erstaufnahme-fuer-fluechtlinge-muss-womoeglich-schliessen.html?