nd-aktuell.de / 23.03.2023 / Wissen / Seite 1

Die radioaktiven Hunde von Tschernobyl

Dr. Schmidt erklärt die Welt: Wie sich Hunde durch Strahlung verändern

Christof Meueler / Steffen Schmidt
Eine Gruppe verwilderter Hunde an der neuen Schutzhülle des 1986 explodierten Reaktorblocks 4 des AKW Tschernobyl
Eine Gruppe verwilderter Hunde an der neuen Schutzhülle des 1986 explodierten Reaktorblocks 4 des AKW Tschernobyl

Ein internationales Forschungsteam hat die vergessenen Hunde von Tschernobyl untersucht[1]. Die sind im Sperrgebiet um den kaputten Reaktor aufgewachsen. Ist das ein Feldversuch nach der Atomkatastrophe?

Das trifft es nicht ganz. Der Feldversuch war, wenn man so will, die Katastrophe selbst. Wir wissen auch nicht, wie viele Hunde zurückgelassen wurden, weggelaufen oder gestorben sind.

Aber man weiß, wie viele dort jetzt leben.

Ja, circa 800.

Wie leben die?

Interessanterweise in verschiedenen Rudeln, unabhängig von irgendwelchen Ausgangsrassen.

Zurück zum Wolf gewissermaßen?

Das auch nicht. Eigentlich hatte man erwartet, dass es zu einer genetischen Vereinheitlichung kommt, zu einer Art Einheitshund. Doch stattdessen wurden sie sich offenbar nur rudelweise ähnlicher.

Aha. Und die Hunde bellen auch noch?

Ja, die sind nicht auf die wölfische Heulerei zurückgefallen. Diese Hundeuntersuchung ist eigentlich ein Ausläufer von früheren Untersuchungen. Ein ukrainischer Biologe, der bei der Katastrophe selbst mit eingesetzt war zur Behebung der Schäden, aber offenbar nicht die starke Strahlung abbekam, hat anschließend untersucht, wie sich die Katastrophe auf die Wildtierpopulation auswirkt. Und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Abwesenheit des Menschen offenbar den meisten Wildtieren zuträglicher ist als bloß die Abwesenheit von Strahlung. Dem wurde dann von anderen Wissenschaftlern widersprochen, die meinten, dass die beobachtete Wildtiervielfalt[2] eher trotz der Strahlung und nicht wegen der Strahlung und der Abwesenheit der Menschen zustande gekommen sei.

Wie zählt man denn den Bestand?

Teils vom Hubschrauber aus, teils durch Spuren im Schnee. Das Hauptmanko aber ist, dass eigentlich kein Mensch weiß, wie viele Wildtierarten vorher dort lebten, denn das wurde nie erfasst.

Und weißt du noch, wo du warst, als die Wolke aus Tschernobyl kam? Oder wurde das in der DDR nicht kommuniziert?

Sagen wir mal so: Das wurde in der DDR etwas verspätet kommuniziert.[3] In Berlin konnte man das aus dem Westfernsehen wissen. Aber wo ich war? Keine Ahnung.

Ich habe draußen im Regen getanzt, das weiß ich noch.

Na toll. Aber die Dosis, die du da abbekommen hast, dürfte nicht so hoch gewesen sein. Das meiste ist anscheinend am Flachland vorbeigegangen. Am stärksten radioaktiv belastet sind bei uns immer noch Pilze im Alpenvorland. Weil sich Niederschläge am Hochgebirge stauen.

Der Legende nach haben wir Tschernobyl auch Robert Habecks politische Karriere zu verdanken. Der hatte damals mit einem Schülertheater Shakespeare aufgeführt und ist nach der Premiere in den Tschernobyl-Regen geraten. Da habe er gespürt, dass ihm »große anonyme Mächte« sein Leben wegnehmen wollten, sagte er später in einem Interview.

Ach je. Andernfalls hätte er vielleicht eine Theaterkarriere eingeschlagen?

Zurück zu den Hunden: Magst du die oder nicht?

Nicht besonders. Mir kommt das Halten von Tieren in der Stadtwohnung ohnehin befremdlich vor. Schon aus Sicht der Tiere.

Ich bin ja Katzenfreund, aber allergisch gegen Katzenhaare. Und deshalb ist unsere Freundschaft leider abgebrochen. Katzen sind selbstständiger als Hunde.

Wie wir in Tschernobyl sehen, können auch Hunde sehr selbstständig sein. Wenn man sie lässt.

Links:

  1. http://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.ade2537
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1009409.leben-im-niemandsland-von-tschernobyl.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/195974.bevoelkerung-im-stresstest.html