nd-aktuell.de / 25.04.2023 / Reise / Seite 1

Eine Stadt wie ein buntes Mosaik

Die einst verrußte Industriemetropole Pittsburgh hat sich in den letzen Jahren herausgeputzt

Sabine Loeprick
Blick von der Standseilbahn Duquesne Incline auf Pittsburgh
Blick von der Standseilbahn Duquesne Incline auf Pittsburgh

Einen Steinwurf entfernt rauscht der Verkehr auf dem Highway parallel zum Allegheny River entlang. Der Stimmung hinter dem mit Fachwerk versetzten Gebäude tut das aber keinen Abbruch. Aus einem blauweißen Festzelt klingt Akkordeonmusik, es gibt Würstchen, Sauerkraut und natürlich mehrere Sorten Bier. Willkommen beim Oktoberfest des »Teutonia Männerchors«, einer Pittsburgher Institution. Deutsche Einwanderer hatten den Gesangsverein Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und sich 1888 ein stattliches Vereinslokal bauen lassen. Dort gibt es einen stilechten Ratskeller mit Holztischen, einem langen Tresen und Wandbildern mit Wappen oder Trinksprüchen von einst. Ganz anders die Atmosphäre im Festsaal mit seinen Gemälden und der von Flaggen eingerahmten Bühne – hier finden regelmäßig große Veranstaltungen statt. Denn der Chor sei längst ein »Verein für die ganze Familie« mit Veranstaltungen das ganze Jahr hindurch, sagt Manager Tom Morgan. Potenzielle neue Mitglieder gebe es reichlich.

Die deutschen Einwanderer haben in der früheren »Steel City« Pittsburgh ihre Spuren hinterlassen. Sie siedelten im 19. Jahrhundert in »Deutschtown«, einem Gebiet am Allegheny River, das sich bis zum Troy Hill ausdehnte. Sie betrieben Restaurants, die bis heute deutsche Traditionsgerichte auf der Karte haben und sie gründeten Unternehmen, die nach wie vor zu den Riesen ihrer Branche zählen.

Henry John Heinz beispielsweise war das achte Kind von deutschen Einwanderern in Pennsylvania, brachte zunächst Essiggurken und Meerrettich in durchsichtigen Gläsern auf den Markt, doch dieses Geschäft ging ein. Ganz anders lief es mit einer besonderen Rezeptur für Ketchup, die Heinz 1869 entwickelte – die Erfolgsstory ist bekannt. Wie Heinz Ende des 19. Jahrhunderts sein Produkt weiterentwickelte und ein Firmenimperium aufbaute, all das wird im Heinz History Center, einem imposanten Gebäude zwischen Downtown und Strip District, originell und interaktiv erzählt. Doch mehr als das. Auf insgesamt sechs Etagen können Besucher in die Geschichte der Afroamerikaner eintauchen – »From Slavery to Freedom« lautet das Motto. Und eine ganze Etage widmet sich der Geschichte Pittsburghs – von den Anfängen bis hin zum Innovationsstandort, denn schließlich wurde hier 1893 das erste moderne Riesenrad gebaut,1953 von Dr. Jonas Salk der Polio-Impfstoff entwickelt und 2014 von Studenten der Carnegie Mellon Universität der Mondrover »Andy« entworfen. Zu all den Geschichten aus Pittsburghs Vergangenheit gibt es reichlich historische Fotos, Film- und Tonaufnahmen, man kann in einen der ersten Jazzklubs der Stadt »eintreten« oder interaktiv mit Forschern »ins Gespräch kommen«.

Hungrig nach noch mehr Geschichte? Dann nichts wie in den Strip District, hier ist gerade an den Wochenenden viel los, denn das Viertel gilt bei Einheimischen und Besuchern der Stadt als angesagt. Schließlich reihen sich hier, wo früher Lagerhallen und Großhandel angesiedelt waren, Cafés, Feinkostläden und Restaurants dicht an dicht. Bei »Primanti Bros« kann man sich Sandwiches zentimeterdick mit Pastrami, Corned-Beef, mit Thunfisch, dazu Käse, Pickles oder Peperoni belegen lassen, die Variationen sind unzählig, satt wird man auf jeden Fall. Ein paar Blocks weiter gibt es in »Pamela’s Diner« im 50er-Jahre-Ambiente Burger und Salate oder auch die Hotcakes, in Butter gebackene Pfannkuchen. Wer nicht genug hat, kann bei »Enrico’s« Biscotti in 30 verschiedenen Geschmackssorten probieren oder in einem Kurs gleich lernen, wie man sie selbst bäckt.

Vom Strip District nach Lawrenceville, einem weiteren Viertel Pittsburghs, in dem sich in den letzten Jahren viel getan hat, ist es nicht weit. Viele der zweistöckigen Backsteinhäuser wurden aufwendig restauriert. Und manchem sieht man die frühere Nutzung beispielsweise als öffentliches Badehaus für die Fabrikarbeiter nicht mehr an. Doch gerade auf solche Details macht Guide Jackie bei ihrer »Burgh Bits and Bites« Tour durch Lawrencevillle gern aufmerksam. Dann zieht sie aus ihrer Umhängetasche einen Ordner, zeigt alte Fotos von Straßenzügen und Gebäuden. Noch bis vor wenigen Jahren seien viele der oft über hundert Jahre alten Wohnhäuser in keinem guten Zustand gewesen, sagt sie. Jetzt aber gilt die Gegend als trendy, schicke Restaurants und coole Bars tragen ihren Teil dazu bei. Kostproben von der neuen kulinarischen Vielfalt gefällig? Jackie lotst ihre Gäste an diesem Nachmittag in einen griechischen Feinkostladen, zu einem libanesischen Falafel-Imbiss, aber auch in eine kleine Bar, wo ein Sandwich mit Kielbasa, der polnischen pikant gewürzten Wurst, serviert wird.

Enorm ist die gastronomische Vielfalt in Pittsburghs Vierteln, von denen es insgesamt sage und schreibe 90 gibt! Und in denen sich die Wandlung Pittsburghs von der zwischenzeitig heruntergekommenen Industriestadt zum attraktiven Standort für IT-Konzerne, für Wissenschaft und Kultur immer stärker zeigt. Im gediegenen Stadtteil Oakland gruppieren sich Fakultäten der University of Pittsburgh rund um die Carnegie Museen – dort können Besucher ebenso alte Meister wie zeitgenössische Kunst bewundern, der Naturkundeteil wartet unter anderem mit einer Dinosaurierausstellung auf. Und schräg gegenüber ragt die 42-stöckige Cathedral of Learning, innen fühlt man sich unter Spitzgewölben und neben mächtigen Pfeilern wie in einem Harry-Potter-Film. Doch das Unigebäude hat eine weitere Kuriosität zu bieten, die Besucher anzieht – die »Nationality Rooms«. In den 1920er-Jahren war ein Programm aufgelegt worden, bei dem verschiedene Gemeinschaften in Pittsburgh die landestypische Einrichtung eines Seminarraums sponsern sollten. Inzwischen gibt es davon 31, die Bandbreite reicht vom afrikanischen bis zum ukrainischen Raum.

Zurück auf die andere Seite des Flusses, dieses Mal aber muss der Monongahela gequert werden, der sich am Point State Park mit dem Allegheny zum Ohio River vereint. Den besten Blick auf die drei Flüsse und auf Pittsburghs Stadtbild hat man von der Duquesne Incline. Das ist eine von zwei noch erhaltenen Standseilbahnen – früher gab es in der Stadt davon 24. Sie transportierten die Arbeiter, die überwiegend in Vierteln auf den Hügeln oberhalb Pittsburghs lebten, zu ihren Jobs in den Fabriken an den Flussufern. Die Fahrt mit der rund 150 Jahre alten Incline ist ein Erlebnis, ruckelnd setzt sich der Holzwaggon in Bewegung, arbeitet sich langsam den steilen Hang empor. Und oben erwartet die Fahrgäste eine fantastische Aussicht auf die Stadt an den drei Flüssen mit ihrer sich ständig verändernden Skyline.

Die Recherche wurde von Visit Pittsburgh organisiert und unterstützt.