nd-aktuell.de / 25.05.2023 / Politik / Seite 1

Ein Grundstein für Gerechtigkeit

Ein Haus für die Jugend soll dabei helfen, demokratische Strukturen im südafrikanischen Kapstadt zu festigen

Christian Selz, Kapstadt
Die 68-jährige Debbie Budlender (Mitte) hat das Jugendzentrum mit aufgebaut.
Die 68-jährige Debbie Budlender (Mitte) hat das Jugendzentrum mit aufgebaut.

Umrahmt von den Höhen des Tafelbergmassivs und einer ruhigen Atlantikbucht liegt an den Hängen eines langgezogenen Tals im Süden von Kapstadt[1] der kleine Vorort Hout Bay. Ihren Namen bekam die »Holzbucht« einst von der Forstwirtschaft, heute ist der Ort mehr für seinen Fischerhafen bekannt, der das pittoreske Gesamtbild abrundet. Die Risse in der Postkartenidylle zeigen sich erst auf den zweiten Blick. Denn Hout Bay hat die gleichen Narben, die das rassistische Apartheidsystem überall in Südafrika hinterlassen hat. Unter dem strahlend blauen Himmel sind die Menschen noch immer deutlich erkennbar nach Hautfarben und Milieus geteilt. Während die überwiegend weiße Oberschicht in den teils opulenten Villen einen traumhaften Blick auf den Atlantik genießt, leben die schwarzen Arbeiterfamilien dicht gedrängt in Wellblechhütten[2] im Viertel Imizamo Yethu. In Hangberg, dem Ortsteil oberhalb des Hafens, wohnen in kleinen Häusern und einigen Neubaublocks aus der Zeit der Zwangsumsiedlungen die »Coloureds«, nach der noch immer verwendeten Terminologie des Apartheidstaats also all jene, die zwischen Schwarz und Weiß verortet wurden, in der Mehrzahl Nachfahren malayischer Sklaven.

In Hangberg ließ sich auch Denis Goldberg nieder, als er 2005 in seine Geburtsstadt Kapstadt zurückkehrte. 22 Jahre politische Haft hatte er hinter sich. Nach seiner Entlassung 1985 lebte er eine Zeit lang im Londoner Exil und war dann als Berater des Wasserministeriums in der Hauptstadt Pretoria tätig. Die Wahl des Wohnorts war kein Zufall, sondern Ausdruck seines lebenslangen Engagements zur Versöhnung der südafrikanischen Gesellschaft. Dieses Ziel wollte Goldberg auch über seinen Tod hinaus verfolgen. Sein gesamtes Vermögen steckte er deshalb in eine Stiftung, um ein Jugendzentrum in Hout Bay zu schaffen. Den Spatenstich übernahm er im April 2019 noch selbst, obwohl er an Krebs litt und die Ärzte ihm nur noch wenige Monate Lebenszeit gegeben hatten. Im April 2022, knapp zwei Jahre nach seinem Tod, öffnete das Denis Goldberg House of Hope offiziell seine Türen.

»Denis mochte Kinder sehr«, sagt Debbie Budlender, die das House of Hope leitet. »Dass er die Kindheit seiner eigenen Kinder verpasst hat, war für ihn das Schlimmste an seiner Haft.« Die Idee für das Projekt kam von Goldberg selbst, er wollte Kinder mit Musik zusammenbringen. Die Programme, erzählt Budlender bei einem Besuch in dem Jugendzentrum, sind ein Jahr nach der Eröffnung aber noch wesentlich vielfältiger. Während wir uns unterhalten, macht eine Gruppe von 20 Jugendlichen es sich gerade auf Stühlen und Sitzkissen im Gruppenraum bequem. In kleinen Tüten raschelt Popcorn, das frisch aus der Maschine im Eingangsraum kommt: Der monatliche Kinonachmittag steht an, auf dem großen Bildschirm läuft »Battle: Freestyle«, ein norwegischer Film über eine Tanzgruppe, die sich ihren Traum vom Auftritt beim globalen Finale in Paris erfüllen will. Sonst treffen sich mittwochs dort immer Jugendliche, um zu lesen und zu diskutieren.

Auch die anderen Wochentage sind vergeben: Am Montag gehört das Zentrum einer Gruppe von Grundschulkindern, die mit einem Lehrer der Kapstädter Zirkusschule Zip Zap nicht nur Tricks und Akrobatik üben, sondern auch Teamwork und Vertrauen erlernen. Dienstags trifft sich eine Theatergruppe. Der Donnerstag steht im Zeichen der Musik; ein ausgebildeter Musiklehrer bringt den Kindern Rhythmus, Percussions und Querflöte bei. Der Freitag ist Oberstufen-Schülern vorbehalten, und am Samstag trifft sich eine Hip-Hop-Gruppe.

»Es geht darum, Kinder aus verschiedenen Gemeinschaften zusammenzubringen und ihnen Dinge zu ermöglichen, die sie sonst nicht machen könnten«, erklärt Budlender. Zielgruppe sind dabei Kinder aus gebührenfreien, öffentlichen Schulen, was in Südafrika gleichbedeutend mit Kindern aus armen Haushalten ist. Bei den Angeboten gehe es immer auch »darum, Spaß zu haben«, meint Budlender. Der Alltag sei schließlich für die Kinder und Jugendlichen schon anstrengend genug. Es soll auch ein sozialer Zusammenhalt vermittelt werden, oder wie die Zentrumsleiterin es sagt: »Dass wir alle Menschen sind und dass wir ähnliche Werte haben«.

Goldberg selbst blieb dem African National Congress bis zuletzt loyal. Wenngleich er den korrupten Parteichef und Ex-Präsidenten Jacob Zuma[3] öffentlich hart kritisierte und zum Rücktritt aufforderte. Er verfügte darüber, dass das House of Hope weder religiös noch parteinah sein sollte. Das werde auch so umgesetzt, beteuert Budlender, was aber nicht ausschließe, mit den Kindern und Jugendlichen über Politisches zu sprechen.

Sonst würde es der Einrichtung, die nicht nur den Namen eines Revolutionärs trägt, sondern von ihm ins Leben gerufen wurde, wohl auch kaum gerecht. In der einen Hälfte des Gruppenraums hängen Tafeln, auf denen in kindgerechter Sprache die Lebensgeschichte Goldbergs erzählt wird. Das Credo der Ausstellung: Hier lebte ein gewöhnlicher Mann, der außergewöhnliche Dinge tat. Aber was passiert denn, wenn ein Kind fragt, ob Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele legitim ist? Schließlich konstruierte Goldberg Sprengsätze im Anti-Apartheid-Kampf, um die Infrastruktur zu schädigen. Bisher sei das nicht vorgekommen, sagt Budlender und fügt hinzu, dass Goldberg dazu sicherlich gesagt hätte, in der demokratischen Gesellschaft gebe es heute andere Möglichkeiten.

Aber die meisten Neuankömmlinge im Jugendzentrum wüssten gar nicht, wer Denis Goldberg war. Es gebe zwar einige Angebote, die sich auf die Ausstellung zu seinem Leben beziehen, »aber wir wollen auch nicht, dass es nur um Denis geht«, stellt Budlender klar. So rede man etwa über Goldbergs Kindheit, ermuntere die Kinder dann aber, über die Lebensgeschichten ihrer Großeltern zu reden. Die Erzählungen der schwarzen Kinder handelten häufig von Arbeitsmigration aus der Provinz Ostkap, sagt Budlender. Und die der »Coloureds« von Zwangsvertreibungen im Rahmen der »Rassentrennung«.

Die Aufgabe der jüngeren Generation in Südafrika ist es, mit der langen Geschichte von Entrechtung und Benachteiligung ganzer Bevölkerungsteile zu brechen, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Und der »Träumer« Goldberg, wie ihn Budlender nennt, hat dafür an seinem letzten Heimatort einen beeindruckenden Grundstein gelegt. Er hatte die Gabe, die richtigen Leute von seinem Projekt zu überzeugen. Die Sozialwissenschaftlerin Budlender beispielsweise, die als Studentin in den 1970er Jahren wegen Kontakten zu Gewerkschaften vom Regime für fünf Jahre unter Hausarrest gestellt wurde, hatte 2018 eigentlich nur ein Konzert zu Goldbergs 85. Geburtstag besuchen wollen. In einer E-Mail an den Organisator fragte sie lediglich, ob sie sich einbringen könne; daraufhin lud Goldberg, den sie bis dato nicht persönlich kannte, sie gleich zum Tee ein. Nach diesem Treffen war die heute 68-Jährige für das Fundraising des Projekts zuständig. Kurze Zeit später versprach ihr Goldberg, den Aufbau des House of Hope federführend zu begleiten.

Das Zentrum auf dem Gelände des örtlichen Museums ist sowohl eine Erinnerungsstätte an den Freiheitskämpfer Goldberg als auch ein Treffpunkt für Jugendliche. Diese beiden Anforderungen unter einem Dach sind ungewöhnlich. Neben der Ausstellung sind die Wände geschmückt mit Gemälden, die Goldberg gesammelt hatte und die zuvor nahezu jeden Zentimeter Tapete in seinem Wohnhaus bedeckt hielten. Er selbst erklärte seine Liebe zur Kunst stets mit den grauen Gefängniswänden, die er zuvor jahrzehntelang vor sich hatte. Im Obergeschoss des Hauses findet sich eine Sammlung von Erinnerungsstücken, darunter auch die Brille, mit der Goldberg sich in seiner Zeit im Untergrund tarnte. Ein paar Schritte weiter stehen zwei Regale mit Büchern zum Ausleihen – auf einer Seite Kinderbücher, auf der anderen eine Auswahl an Biografien von prägenden Köpfen des Anti-Apartheid-Kampfes.

Das gesamte Haus, das seine Programme aus Spenden finanziert, steht auch Besuchern immer offen. Und so kann es vorkommen, dass die Nachmittagsprogramme der Kinder laufen, während sich nebenbei Besucher die Ausstellung ansehen. »Organisiertes Chaos« nennt Budlender das mit einem Lächeln. Das mag stimmen, in der Summe ist es so jedoch tatsächlich ein Haus der Hoffnung und ein mit reichlich Leben gefülltes Vermächtnis eines Mannes, der stets soziale Grenzen niederreißen und Menschen zusammenbringen wollte.

Das House of Hope ist ein Ort, an dem vor allem benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützt werden.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157548.urban-gardening-wurzeln-in-den-duenen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166056.bergarbeit-in-suedafrika-die-mehrheit-lebt-noch-immer-in-wellblechhuetten-ohne-wasser.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153904.jacob-zuma-anti-aufklaerer.html