nd-aktuell.de / 29.06.2023 / Kultur / Seite 1

Kriegsverbrechen in Oradour: Einzigartiger Ort der Erinnerung

Die Spuren des deutschen Kriegsverbrechens in Oradour sollen erhalten bleiben

Ralf Klingsieck, Paris

Ein Jahr vor dem 80. Jahrestag des Massakers in Oradour-sur-Glane haben das französische Kulturministerium und die Nationale Stiftung für Kulturerbe zu einer Spendenaktion aufgerufen. Das Geld soll helfen, die Reste des Märtyrerdorfes als anschauliches und eindringliches Zeugnis der Kriegsverbrechen für künftige Generationen zu bewahren.

Am 10. Juni 1944 hatten Angehörige der SS-Division »Das Reich« die 643 dort angetroffenen Einwohner – vorwiegend Frauen, Kinder und Alte – ermordet. Damit wollten sie sich für Überfälle durch Kämpfer der Résistance rächen, mit denen jedoch niemand aus Oradour etwas zu tun hatte. Sie trieben die Einwohner auf dem Marktplatz zusammen, führten dann die Männer in eine Scheune, Frauen und Kinder in die Kirche.

Die Männer wurden erschossen, während die Frauen und Kinder in der in Brand gesteckten Kirche elendig ums Leben kamen. Anschließend brannten die SS-Leute alle 123 Häuser, Ställe und Scheunen des Ortes nieder, von dem nach dem Abzug der Mörder nur rauchende Trümmer zurückblieben.

»Nach dem Krieg hatten die Politiker vor, die Reste von Oradour abzureißen und das Dorf an Ort und Stelle neu aufzubauen. Die Angehörigen der Opfer wollten die Ruine als Zeugnis erhalten. Wir haben uns durchgesetzt, und so wurde das neue Oradour-sur-Glane etwas abseits errichtet«, erinnerte sich vor Jahren gegenüber »nd« Robert Hébras, einer von rund einem Dutzend Einwohner, denen die Flucht gelang. »Ich war damals 18 und hatte viel Glück, denn mich hat keine Kugel getroffen, und so konnte ich in der Scheune unter meinen ermordeten Mitbewohnern die Nacht abwarten und flüchten.«

Der im Februar dieses Jahres im Alter von 97 Jahren verstorbene Hébras war der letzte Überlebende des Massakers von Oradour. Der nur noch in Form von Ruinen erhaltene Ort wird Jahr für Jahr von vielen Tausend Menschen besucht und ist – ergänzt durch ein am Ortsrand errichtetes kleines Museum – eine unverzichtbare historische Gedenkstätte.

Doch mit den Jahren drohten die letzten steinernen Zeugen des Verbrechens durch die Witterung und sich ausbreitendes Unkraut zu verfallen und zu erodieren. Um dem zu begegnen und die Ruinen zu konsolidieren, stellen der Staat und die regionalen Behörden jährlich 300 000 Euro bereit. Im laufenden Jahr kommt für Arbeiten an der Ruine der Dorfkirche ein Sonderbeitrag von 500 000 Euro hinzu. Den Finanzierungsbedarf für die dringendsten Arbeiten in der unmittelbaren Zukunft schätzen Experten jedoch auf mindestens zwei Millionen Euro.

Nach einem am 10. Mai 1946 verabschiedeten Gesetz hat sich der Staat verpflichtet, die Stätte instand zu halten und zu restaurieren. Doch die seinerzeit dafür veranschlagten Mittel reichen längst nicht mehr aus. Kulturministerin Rima Abdul Malak meint, dass »der Massenmord von Oradour-sur-Glane diese Stätte zu einem einzigartigen Ort der Erinnerung macht, der bewahrt und an künftige Generationen aller Länder weitergegeben werden muss«. Darum wurden jetzt Menschen aus ganz Frankreich und dem Ausland über die Medien aufgerufen, mit Spenden zur Erhaltung des Märtyrerdorfes Oradour beizutragen.

www.fondation-patrimoine.org/87672

Gespenstisch – ein Ort des Terrorsrei: Oradour-sur-Glane
Gespenstisch – ein Ort des Terrorsrei: Oradour-sur-Glane