Neue Rolle, neue Strategie: Nachdem die Linkspartei nicht mehr im Senat in Regierungsverantwortung ist, versucht sich die Partei neu aufzustellen. In der Opposition will man nun das eigene Programm schärfen, die neu gewonnene Stärke in der Innenstadt halten und zugleich ehemalige Hochburgen im Osten der Stadt zurückerobern. Das geht aus einem Strategiepapier vor, das die im Mai gewählten neuen Landesvorsitzenden Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer[1] verfasst haben. Zunächst hatte der »Tagesspiegel« über das Dokument berichtet.
Bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar hatte Die Linke 12,2 Prozent der Stimmen erhalten. Die moderaten Verluste von 1,9 Prozentpunkten verdecken dabei die Wählerwanderung, die die Partei erlebt hat[2]: Während sie in den Ostbezirken massiv Stimmen verlor, konnte sie in manchen Innenstadtbezirken Gewinne erzielen.
Erstmals lag der stärkste Stimmbezirk der Sozialisten nicht mehr in Lichtenberg oder Treptow-Köpenick, sondern in Neukölln. Bei den anstehenden Wahlen – der Europawahl 2024, der Bundestagswahl 2025 und der Abgeordnetenhauswahl 2026 – will man nun die Stärke in der Innenstadt »halten, stabilisieren und ausbauen« und zugleich in den ehemaligen Hochburgen »Vertrauen zurückgewinnen«. Aber wie? »Das Verbindende ist für uns das Soziale«, sagt Linke-Landesvorsitzende Franziska Brychcy zu »nd«. Man wolle für diejenigen sprechen, die unter der mangelnden Infrastruktur am Stadtrand zu leiden haben. Zum Beispiel bei Hausärzten und Schulplätzen, die nicht nur in den Ostbezirken, sondern auch in Reinickendorf und Spandau knapp sind.
»Nah an der Lebenswelt in den Kiezen, an den Haustüren, in den Kneipen und Vereinen« soll die Partei für den Wahlkampf werden, um den Spagat zwischen alten und neuen Wählern wieder zu schaffen. Dafür sollen Mitglieder für Haustürgespräche geschult werden. [3]
Bis zu den Wahlen soll mit einer Veranstaltungsreihe das eigene Profil geschärft werden. Mit mehreren Konferenzen will die Partei in den Austausch mit Experten und Bewegungen kommen. »Wir werden unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen«, sagt Brychcy. Bei einer Veranstaltung im September sollen beispielsweise Gegner des Straßenbauprojekts Tangentialverbindung Ost durch die Wuhlheide auf Anwohner treffen, die sich vom Verkehrsnetz abgehängt fühlen.
Bei den Erwartungen gibt man sich bescheiden. »Ein starkes zweistelliges Ergebnis« will die Partei erzielen, die 2018 noch zumindest in Umfragen kurzzeitig stärkste Kraft war. »Das Strategiepapier sollte keine unrealistischen Erwartungen wecken«, sagt Brychcy. »Wir werden aber alles daran setzen, wieder stärker zu werden.« Parallel sollen bis 2025 1000 neue Parteimitglieder gewonnen werden. Aktuell gibt es etwa 7000 Genossen.
Den Elefanten im Raum verschweigt das Strategiepapier indes: Die mögliche Konkurrenz durch eine Liste aus dem Lager der Partei-Rebellin Sahra Wagenknecht. Auch in Berlin wäre eine Gegenliste ein existenzielles Problem für die Linkspartei. Eine Wagenknecht-Partei wäre »eine Herausforderung«, gibt Franziska Brychcy zu. »Wir hoffen, dass die Spaltung noch verhindert werden kann.« Denn in der Summe stünden die linken Parteien nach getrennten Wahlantritten zumeist geschwächt da, das zeige zumindest der Blick in das europäische Ausland. Auch wenn eine eigenständige Wagenknecht-Partei zustande kommen würde, will Brychcy den Kampf um eine eigenständige Linke nicht aufgeben. »Die Linke ist ein historisches Projekt, das wir verteidigen müssen.«