Industrieboom in den USA

Die Förderpolitik von Präsident Joe Biden zeigt Wirkung: Rekordsummen fließen in neue Anlagen

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch in Lansing, Michigan baut Ultium Cells eine neue Batteriefabrik, eines von zahlreichen neuen Investitionsprojekten in den USA.
Auch in Lansing, Michigan baut Ultium Cells eine neue Batteriefabrik, eines von zahlreichen neuen Investitionsprojekten in den USA.

Es war das Comeback des vergangenen Jahres: Nachdem er das Klima- und Infrastrukturpaket »Build Back Better« von Präsident Joe Biden offiziell für tot erklärt hatte, kündigte der konservative Demokrat Joe Manchin, US-Senator für West Virginia am 27. Juli 2022 mit seinem Kollegen, Mehrheitsführer Chuck Schumer, einen Deal für ein neues Gesetz an. Der »Inflation Reduction Act« enthält großzügige Subventionen für erneuerbare Energien, aber auch für Elektromobilität, Kohlenstoffabscheidung, die Wasserstoffwirtschaft und Atomenergie sowie für die Öl- und Gasindustrie. Er folgte unmittelbar auf den »Chips Act«, ein Gesetzesvorhaben, mit dem die Produktion von Mikroprozessoren in die USA zurückgeholt werden sollte. Beide Gesetzespakete wurden von Biden im August unterzeichnet. Und sie zeigen bereits Wirkung.

Die USA erleben gerade einen regelrechten Industrieboom: Die Bauinvestitionen im produzierenden Gewerbe haben sich seit dem Jahr 2019 mehr als verdoppelt. Über 435Milliarden US-Dollar beträgt das Investitionsvolumen für neue Industrieanlagen laut dem Weißen Haus: In Texas, Arizona und im Bundesstaat New York entstehen neue Chipfabriken, Georgia wird zum Zentrum der Solarindustrie. In den alten Kernregionen der Automobilindustrie wie Michigan entstehen neue Batteriewerke für die Elektromobilität.

Dass die Inflation seit Verabschiedung des Gesetzes tatsächlich merklich gefallen ist, lässt sich nur schwer kausal darauf zurückführen. Doch die neue industriepolitische Strategie des US-Präsidenten scheint aufzugehen. »Bidenomics« wirkt, fast im Wochenrhythmus kündigt die US-Industrie neue Werke an.

Zwei Aspekte am Inflation Reduction Act werden häufig übersehen, weshalb seine Wirkung unterschätzt werden könnte: Erstens verspricht das Gesetz Subventionen für die Produktion, nicht nur für Investitionsgüter, häufig sogar sowohl auf der Hersteller- wie auf der Konsumentenseite. Und zweitens nehmen diese die Form von Steuergutschriften an.

Die offiziellen Schätzungen eines Fördervolumens von 783 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz könnten daher deutlich übertroffen werden – eine Obergrenze legt das Gesetz nämlich nicht fest. Laut Modellrechnungen könnten die Treibhausgasemissionen durch das Gesetz bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 reduziert werden – auch hier ist eine größere Wirkung denkbar, sollte mehr investiert werden als prognostiziert.

Offen ist bisher, ob die Gewerkschaften von der neuen Industriepolitik im großen Stil profitieren können: Ursprünglich war geplant, die Subventionen im Inflation Reduction Act insbesondere im Automobilbereich direkt an Bedingungen zu knüpfen, wonach Beschäftigte in geförderten Betrieben gewerkschaftlich repräsentiert sein müssten. Das war allerdings mit dem Demokraten Manchin nicht zu machen.

Stattdessen einigte man sich darauf, dass ein gewisser Anteil der Wertschöpfung eines Produkts in den USA stattfinden muss, damit es von den höchsten Fördersätzen profitieren kann. Linke Demokraten hofften, dass sich hieraus zumindest mittelbar eine Stärkung der Position der Beschäftigten ergeben könnte.

Bisher ist allerdings unklar, ob sich der gewünschte Effekt einstellt. Eine Trendumkehr beim Organisationsgrad ist noch nicht in Sicht; dieser sank im vergangenen Jahr weiter – von 10,3 auf 10,1 Prozent. Absolut betrachtet stieg die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten aber um etwa 273 000.

»Wir sind nicht naiv: Der Umstieg auf Elektromobilität ist absolut notwendig«, so Dan Vicente von der Automobilgewerkschaft United Auto Workers (UAW) gegenüber dem Wirtschaftspodcast »Odd Lots«. Die UAW wolle lediglich sicherstellen, dass der Umstieg auf elektrische Antriebe nicht auf dem Rücken der Beschäftigten geschieht und dass dabei gute Jobs entstehen. Vor Kurzem veröffentlichte die Gewerkschaft ein viel beachtetes Kampagnenvideo, in dem sie die schlechten Arbeitsbedingungen einer neuen Batteriefabrik in Lordstown, Ohio, anprangerten. Der Autohersteller General Motors (GM) hatte sein Werk in Lordstown vor wenigen Jahren geschlossen und ist am Konsortium Ultium Cells beteiligt, das die neue Batteriefabrik baut. Die Jobs sind in der Region also gern gesehen – weniger begeistert ist man von den Löhnen, die deutlich unter dem liegen, was GM früher bezahlte. Im Dezember vergangenen Jahres hatten 98 Prozent der Belegschaft dafür gestimmt, sich durch die UAW vertreten zu lassen.

Doch nicht nur in ihren alten Hochburgen haben die Gewerkschaften bei der Organisierung neuer Betriebe erste Erfolge erzielt. Auch in den traditionell gewerkschaftsfeindlichen Südstaaten scheinen sie Fuß zu fassen: Im Mai stimmte die Belegschaft von Blue Bird, einem Hersteller elektrischer Schulbusse in Fort Valley, Georgia, dafür, der Gewerkschaft United Steelworkers beizutreten. Anderswo, insbesondere in der Elektronikbranche, klagen die Firmen bereits jetzt über Arbeitskräftemangel.

Die US-Arbeiterklasse hat also eine starke Ausgangsposition, um vom neuen Industrieboom etwas abzubekommen. Es bleibt abzuwarten, ob sich durch den Inflation Reduction Act nicht nur die industrielle Landschaft der USA, sondern auch das soziale Gefüge grundlegend ändern wird. Weniger wahrscheinlich ist allerdings, dass dies vor den Wahlen im Jahr 2024 geschieht. Mit seiner neuen Industriepolitik hat Joe Biden also durchaus die Grundlagen für einen langfristigen Strukturwandel der US-Wirtschaft geschaffen. Ob er davon politisch profitiert, steht auf einem anderen Blatt.

Biden hat sein gesamtes politisches Kapital für sein Transformationsprojekt ausgegeben, durchaus auch zulasten kurzfristiger sozialpolitischer Interventionen. Über eine Verbesserung des Krankenversicherungsschutzes für US-Amerikaner hört man von den Demokraten fast gar nichts mehr.

Um die neue Industriepolitik zu legitimieren, schlagen die Demokraten auch regelmäßig einen sehr aggressiven Ton gegenüber China an. Zwar steht eine wirtschaftliche »Entkopplung« mit der Volksrepublik noch nicht in greifbarer Nähe, doch haben der Inflation Reduction Act und insbesondere der Chips Act das Verhältnis zwischen den Staaten sicher nicht verbessert. Ein freundlicher Wettbewerb zwischen den Weltmächten um die größten Erfolge beim Klimaschutz mag eine charmante Vorstellung sein. Wenn er aber in einem militärischen Konflikt endet, waren alle Anstrengungen für das Klima vergebens.

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