nd-aktuell.de / 06.10.2023 / Politik / Seite 1

Hindenburg: Auch für die Ampel durchaus ein Vorbild

Stellungnahmen aus Ministerien offenbaren: Auch die amtierende Bundesregierung hält an fragwürdigem Traditionsverständnis fest

René Heilig
Hitler und sein Steigbügelhalter Paul von Hindenburg waren enge Vertraute: Handschlag bei einem Treffen des Ex-Reichspräsidenten mit dem »Führer« 1934
Hitler und sein Steigbügelhalter Paul von Hindenburg waren enge Vertraute: Handschlag bei einem Treffen des Ex-Reichspräsidenten mit dem »Führer« 1934

Auch die amtierende Bundesregierung hält offenbar an altgedienten Darstellungen zu Persönlichkeiten der deutschen und bundesdeutschen Geschichte fest. Neuere, vom Bund selbst in Auftrag gegebene Forschungsergebnisse etwa über illegale Praktiken des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) beeinträchtigen das positive Gesamtbild nicht, das auch die Ampel-Koalition von ihm wie auch von Paul von Hindenburg zeichnet. Das offenbaren Antworten auf Anfragen der Linken im Bundestag, die »nd« vorliegen.

Jan Korte, amtierender Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, wollte vom Kulturstaatsministerium wissen, was die Bundesregierung davon hält, dass die »Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus« und die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung den ersten Kanzler der Bundesrepublik wider besseres Wissen weiter als »überzeugten Demokraten« darstellt. Immerhin erhalten beide Stiftungen Mittel aus dem Bundeshaushalt.

Die zuständige Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), antwortete darauf, sie habe lediglich eine Rechts-Aufsicht, die sich auf die Prüfung beschränke, »ob geltende Gesetze und sonstiges Recht eingehalten werden«. Diese Nicht-Positionierung erstaunt insofern, als Roth in der Vergangenheit wie Korte auf mehr Ehrlichkeit im Umgang mit der Herkunft der Bundesrepublik und ihres Führungspersonals gedrungen hatte – und auf Reformen bei der Traditionspflege der Bundeswehr.

Natürlich hatte Korte nicht die Erwartung geäußert, dass Roth politischen Einfluss auf die Arbeit der Stiftungen nehmen solle. Doch eine etwas differenzierte Sicht auf deren Arbeit wäre angesichts der Bedeutung des »Adenauer-Themas« möglich gewesen. Für Roth aber reicht es, so lässt sie mitteilen, dass die Adenauer-Stiftung der »Aufbereitung und Aufarbeitung historisch-zeitgeschichtlicher Ereignisse und/oder Persönlichkeiten« nicht nur durch eigene Forschungstätigkeiten gerecht wird, »sondern auch dadurch, dass sie ihre Erkenntnisse und Quellen auch allen externen Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern für deren eigene Forschungstätigkeit zur Verfügung stellt«. Dies gelte auch »für die Auseinandersetzung mit dem Erbe Konrad Adenauers.«

Adenauer, der bis zu seinem Rücktritt 1963 gut 14 Jahre die Geschicke des westdeutschen Staates lenkte, gilt der vorherrschenden Geschichtsschreibung noch immer als moralische Instanz, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stand. Doch über dieses Bild legte sich schon vor Jahren ein dunkler Schatten. Der entstand, als die Unabhängige Historikerkommission begann, Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu sichten. Vor allem die Studien von Klaus-Dietmar Henke kratzten daran.

Noch zum 50. Todestag Adenauers 2017 würdigte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn: »Seine Methoden und Ziele polarisierten die Menschen, aber er war jemand, der den Menschen Orientierung und Glauben gab.« Henke dagegen brachte ans Licht, wie der konservative Politiker den von einem ehemaligen Nazi-General geleiteten Auslandsgeheimdienst nutzte, um die damalige Oppositionsführerin SPD auszuspionieren. Sein illegal erlangtes Wissen nutzte Adenauer skrupellos. Es ging um puren Machterhalt.

Was Henke dazu im Rahmen der Aufarbeitung der BND-Geschichte 2022 vorgelegt hatte, geriet allzu rasch in Vergessenheit. Auch deshalb veröffentlichte der Historiker seine Forschungsergebnisse nun unter dem Titel »Adenauers Watergate. Die Geheimoperation des BND gegen die SPD-Spitze«.

Korte fragte indes auch im von Boris Pistorius (SPD) geführten Bundesverteidigungsministerium nach, wie man dort auf Paul von Hindenburg blickt. Eine Kaserne im niedersächsischen Munster ist nach dem einstigen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten der Weimarer Republik benannt. Eine Stellungnahme kam von Staatssekretärin Siemtje Möller (SPD). Sie schreibt, in Hindenburgs Präsidentschaft falle »die Stabilisierung der ersten Demokratie auf deutschem Boden«. Sie würdigt Hindenburgs »Amtsführung als direkt gewähltes Staatsoberhaupt der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie und sein auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung ausgerichtetes Handeln«.

Auf Hindenburgs Rolle als Chef der Obersten Heeresleitung geht Möller nicht ein. Auch nicht darauf, dass unter seiner Führung im Ersten Weltkrieg 1916 der verbrecherische uneingeschränkte U-Boot-Krieg begann. Kein Wort dazu, dass Hindenburg mit der von ihm verbreiteten »Dolchstoßlegende« und seiner Ablehnung der Weimarer Republik dem Zweiten Weltkrieg einen Weg ebnete. In seiner Funktion als Reichspräsident ernannte er 1933 nicht nur Hitler zum Reichskanzler, sondern ermöglichte durch die Auflösung des Reichstages und die Unterzeichnung von Notverordnungen, mit denen die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und die Grundrechte aufgehoben wurden, die Etablierung der faschistischen Terrorherrschaft.

Aus dem Verteidigungsministerium heißt es dazu: »Die Rolle des hochbetagten Hindenburgs bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ist in der Geschichtswissenschaft umstritten. Gesichert ist jedoch, dass er Hitler persönlich ablehnte und lange Zeit versuchte, die Nationalsozialisten trotz anderslautenden Wählervotums von einer Regierungsbeteiligung oder Regierungsübernahme fernzuhalten.«

Jan Korte findet es »unfassbar, welches Ausmaß das geschichtspolitische Rollback unter einer SPD-, Grünen- und FDP-geführten Bundesregierung mittlerweile annimmt«. Hindenburg sei einer der »maßgeblichen Totengräber der Weimarer Republik« und »einer der wichtigsten Steigbügelhalter der Nationalsozialisten« gewesen, erklärt er. Die Hindenburg-Kaserne in müsse deshalb endlich umbenannt werden.

Nachdem 2017 der Bundeswehr-Offizier Franco A. wegen mutmaßlich geplanter Terroranschläge verhaftet worden und bekannt geworden war, dass in etlichen Kasernen in Traditionskabinetten Wehrmachtsdevotionalien präsentiert wurden, hatte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den sogenannten Traditionserlass für die Bundeswehr überarbeiten lassen. In seiner neuen Fassung wurde betont, dass die Wehrmacht kein Vorbild und ihre Protagonisten nicht mehr sinnstiftend für heutige Soldaten sein können. Auch die Umbenennung von damals noch 26 nach Wehrmachtsoffizieren und umstrittenen preußischen Generälen benannten Kasernen strebte sie an. Viele davon tragen jedoch noch heute ihre alten Namen.