nd-aktuell.de / 12.10.2023 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Dreckige Industrie: Deutschlands dicke Luft

Schadstoffemissionen der deutschen Industrie verursachen EU-weit die meisten Kosten aufgrund von Belastungen des Gesundheitssystems

Louisa Theresa Braun

Duisburg gehört zu den Städten, die von 2007 bis 2021 deutschlandweit den größten CO2-Fußabdruck[1] hatten. Mindestens 457,04 Milliarden Kilogramm des Treibhausgases wurden in der nordrhein-westfälischen Stadt produziert, der Großteil davon im Energiesektor. Allein 120,64 Milliarden Kilo Kohlenstoffdioxid stammen aus Wärmekraftwerken der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) GmbH; 29,06 Milliarden Kilo aus denen des Energiekonzerns RWE. Für 23,55 Milliarden Kilo sind Kohleöfen der Pruna Betreiber GmbH verantwortlich, vertreten durch die KBS GmbH Werk Schwelgern.

Die Zahlen stammen aus einer Recherche der gemeinnützigen Investigativmedien »Correctiv.Europe«[2] und »Correctiv.Lokal«[3] und basieren auf Daten der Europäischen Umweltagentur (EUA)[4].

In einigen Duisburger Kraftwerken sind die jährlichen Durchschnittswerte innerhalb dieser 15 Jahre zurückgegangen, in anderen blieb er annähernd unverändert oder nahm sogar leicht zu. So schwankte der CO2-Ausstoß in einem der HKM-Kraftwerke 2007 bis 2021 zwischen 4,69 Milliarden und 4,98 Milliaden Kilogramm. Für einige Anlagen können die Jahreswerte gar nicht verglichen werden, da Emissionen nur gemeldet werden müssen, wenn sie gewisse Schwellenwerte überschreiten, sodass für manche Jahre, in denen die Schadstoffe unter diesem Grenzwert lagen, keine Daten vorliegen. Bei sämtlichen Zahlen handelt es sich daher um Mindestwerte.

Außerdem nicht einberechnet ist laut EUA die Luftverschmutzung, die zum Beispiel der Verkehr oder der Energieverbrauch von Privathaushalten verursachen. Die Daten decken lediglich industrielle Emissionen ab, die für rund 20 Prozent der gesamten Luftverschmutzung in der Europäischen Union verantwortlich seien. Neben Kohlenstoffdioxid (CO2) sind das unter anderem Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O), beides ebenfalls Treibhausgase, sowie die Luftschadstoffe Ammoniak (NH3), Stick- und Schwefeloxide. Treibhausgase sind für die globale Erwärmung relevant; Luftschadstoffe können bei Menschen und Tieren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Atemwegserkrankungen verursachen[5] sowie Natur und Landwirtschaft schädigen.

Zwar hat Deutschland die Feinstaub-Grenzwerte der EU 2022 das fünfte Jahr in Folge nicht überschritten. Allerdings sind diese Grenzwerte seit 20 Jahren nicht angepasst worden und liegen weit über dem, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für vertretbar[6] hält. Im Entwurf einer Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinie von Oktober 2022 schlägt die EU-Kommission deshalb deutlich schärfere Grenzwerte vor, die sich an den WHO-Richtlinien orientieren.

Laut EUA gibt es keinen Beweis dafür, dass es überhaupt einen Schwellenwert gibt, »unterhalb dessen die Luftverschmutzung keine Auswirkungen auf die Gesundheit hat«. Insgesamt seien der Schadstoffausstoß und die Gesundheitsrisiken für Menschen, die in emissionsreichen Gegenden wie Duisburg leben,[7] zu hoch – und besonders Kinder davon gefährdet.

Die Kosten für die deutsche Wirtschaft, die durch luftverschmutzungsbedingte Krankheiten, Belastungen des Gesundheitssystems und vorzeitige Todesfälle entstanden sind, schätzt die EUA für das Jahr 2017 auf 60 Milliarden Euro. 8030 Millionen Euro führt die Umweltagentur auf den Duisburger Konzern HKM zurück, 390 Millionen auf das RWE-Kraftwerk Huckingen. Deutscher Negativ-Sieger ist das RWE-Kraftwerk Neurath in Grevenbroich mit 3,78 Milliarden Euro. EU-weit lag nur ein Kraftwerk im polnischen Rogowiec darüber, um rund eine weitere Milliarde.

Insgesamt befinden sich laut »Correctiv«-Recherche sechs von zehn Industriestandorten mit der höchsten Belastung für die Gesellschaft in Deutschland. Davon sind fünf den Konzernen RWE und Vattenfall[8] zuzuordnen. Deutschlands Industrie ist demnach so dreckig wie keine andere in Europa.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation mit »Correctiv.Europe« und »Correctiv.Lokal«.
Beide Projekte fördern den Lokaljournalismus und stärken somit die Demokratie.
Mehr unter: correctiv.org/lokal[9]

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173796.co-emissionen-die-klimaschaedlichsten-industrien.html
  2. https://correctiv.org/en/europe/
  3. https://correctiv.org/lokal/
  4. https://www.eea.europa.eu/de
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169620.silvester-tradition-auf-kosten-von-mensch-und-umwelt.html
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173040.umweltzerstoerung-klimawandel-und-gesundheit-kranke-erde-kranker-mensch.html
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166799.umweltgerechtigkeit-umweltschutz-als-soziale-frage.html
  8. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1105766.kohleausstieg-immer-aerger-mit-der-kohle.html
  9. https://correctiv.org/lokal/