nd-aktuell.de / 10.11.2023 / Kultur / Seite 1

Triebkräfte im Gegensatz

Manfred Zoller entdeckt für seine Collagen noch ungesichtete Bildvorräte

Klaus Hammer
Hier muss man sich seine eigene Vorstellungswelt erschließen: Manfred Zoller, ohne Titel, Papiercollage, 2021
Hier muss man sich seine eigene Vorstellungswelt erschließen: Manfred Zoller, ohne Titel, Papiercollage, 2021

Der in Bergfelde bei Berlin lebende Manfred Zoller war mal praktizierender Mediziner, Anatom, bevor er sich ganz der Kunst verschrieb. Gerade stellt er in der Galerie Pankow Collagen, Assemblagen und Objekte aus: Er schneidet und klebt, faltet und klammert alle möglichen – unbedruckten – Ausschnitte, Fragmente und Reste von Papieren, Kartons, auch Wellpappe, zusammen. Daraus ergeben sich ineinander übergehende, übereinandergeschichtete und auseinandergefächerte Formen.

Die Zeit wird in eine statische Komposition gleichsam eingeschlossen, aber durch das optische Motiv, durch Form und Farbe, die Flächen- und Raumdimension entfalten sich Bewegung, Rhythmik und Wiederholung. Und tatsächlich enthalten Zollers codierte Arbeiten – seien es nun »Industrietürme« (2006), »Mondlicht« (2021) oder »Blaugrund« (2020) – eine Fülle von Zeichen, Schlüsseln und verborgenen Wegweisern. Der Künstler sagt aufrichtig aus, dass dies geistige Bilder sind, Hieroglyphen, die bloß in einem zeichen- und bildhaften Raum existieren. Die Extreme von Nah und Fern, der Nahaufnahme des Details und der von fern gesehenen »kosmischen« Landschaft rücken hier zusammen. Sein Blick hat sich von der Natur nie abgewendet, aber er durchdringt ihre Oberflächenhülle, um in den Tiefen noch ungesichtete und ungedeutete Bildvorräte zu entdecken.

Das dynamische Stakkato heftig-dunkler Rhythmen und die leuchtend-hellen Töne, die hindurchschimmern, weisen auf Gegensätzlichkeiten der Triebkräfte im Unbewussten. Das vorherrschende Dunkel, dieses Gewebe von Gefährdung und Bedrohung wird von schüchtern ahnenden Lichtern der Hoffnung, von Zwischentönen sensitiver Lebensbejahung durchstrahlt. Ganze Bewegungsströme von Farben umfassen Ungewusstes und -gewolltes, Zufälliges und Willkürliches.

Zwischen dem Schwarz der Linie und dem Weiß der Fläche, zwischen Halt und Grund wird die Farbsetzung durch Hinzufügungen in die Sphäre des Lebendigen gezogen, vereinzelt oder im flächenhaften Zusammenklang von Ocker, Grau, Oliv, Grün, vor allem aber Rosa und Rot[1], den Farben des Lebens, Signalen des Menschlichen.

Denn Zoller setzt nicht nur geometrische Formen zusammen, sondern erprobt auch alle Möglichkeiten, eine faktisch gleichbleibende Farbe mehrdeutig oder unterschiedliche Farben gleichwertig wirken zu lassen. Das Grün grenzt in seiner wärmeren Brechung durch Gelb an das Rot und wandelt sich zu blaugetönter Kühle. Ein warmtoniges Ultramarinblau steht wiederum einem kühlen Kobaltblau entgegen. Wenn Gelb und Rot harmonisch zusammenklingen, greift ausgleichend ein warmes und tiefes Braun ein, das helle Ockertöne variieren. Denn das ist nun die neue Erfahrung: dass sich Kontraste und sogar Dissonanzen harmonisch auflösen lassen und in ein Bildensemble überführt werden können.

Mit Op-Art, die das menschliche Sehvermögen durch optische Täuschung zu irritieren sucht, hat das allerdings nichts zu tun, denn Zoller versteht das Ergebnis seiner Malerei als Meditationsbilder, die eben keine schnellen Effekte anstreben, sondern Ruhe, Konzentration. Seine Kunst ist Anlass zur Reflexion, die jedoch nie zu einem schlüssigen Ende gebracht werden kann. Was bei der Meditation im Inneren passiert, verlegt die Kunst nach draußen: Sie öffnet die Sinne für die wahrnehmbaren Reize. Zollers Kunst ist Vergeistigung der Materie, das bejahende Spiel mit ihr.

Seine Bildzeichen lösen beim Betrachter den Wunsch aus, in nicht zu enträtselnde Geheimnisse einzudringen. Schichtweise übereinandergelegte Strukturen assoziieren den Eindruck einer »Stadtlandschaft« (2006). Ein schwer am Himmel lastender Mond verdichtet sich zu beklemmenden Erfahrungen (»Mondlicht«, 2021). Auf blauem Grund bewegen sich zwei wolkenartige Gebilde parallel auf zwei Wäscheklammern zu – und fertig ist das »Meereswunder« (2010). Reizvoll der »Kopf für Jean Paul« (2015): Von Büroklammern zusammengehalten, werden Ausschnitte farbiger Papiere ungeordnet übereinandergeschichtet – eine Anspielung auf die von Jean Paul bewusst inszenierte Unordnung seiner Romane, die zu eigenen kleinen Enzyklopädien wurden. Ein zauberhaftes Form- und Farbspiel wiederum führt uns in die Märchenwelt Wilhelm Hauffs. Bei den titellosen Arbeiten sucht der Betrachter aus den Winkeln und Fluchten der Formwelt, dem Bezugssystem der Farben eine eigene Vorstellungswelt zu erschließen. So entsteht ein Universum[2], das zugleich verfremdet, tragikomisch und bitterböse sein kann, aber auch ein beglückendes Gefühl vermittelt.

»Manfred Zoller – Collagen und Assemblagen«, bis zum 21. Januar 2024, Galerie Pankow, Berlin

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177506.landesparteitag-linke-in-sachsen-diese-partei-verlaesst-man-nicht.html?sstr=Sozialismus
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177374.film-die-theorie-von-allem-als-filmemacher-muss-man-in-die-luecke-zwischen-den-welten-gehen.html?sstr=universum