nd-aktuell.de / 26.11.2023 / Politik / Seite 1

Guatemala: »Die Bevölkerung ist der Korruption überdrüssig«

Der indigene Gemeindevertreter Bernardo Caal Xol spricht über die Proteste gegen die korrupte Justiz und die Generalstaatsanwältin Porras

Knut Henkel

Mehr als 20 Tage haben vor allem indigene Protestierende Guatemala an den Rand des logistischen Kollaps gebracht. Protestiert wird gegen die korrupte Justiz und die Kreise, die versuchen den designierten Präsidenten Bernardo Arévalo und seine Partei »Bewegung Samenkorn« zu schwächen. Warum sind es die indigenen Völker Guatemalas, die landesweit die Proteste anführen?

Es ist offensichtlich, dass die herrschenden Eliten oder besser der »Pakt der Korrupten«, der de facto dieses Land regiert und alle Institutionen kontrolliert, die Macht nicht abgeben will. Die Wahl von Bernardo Arévalo durch die Bevölkerungsmehrheit wird nicht akzeptiert, seine Partei durch die Ermittlungen der Justiz geschwächt und wir wehren uns dagegen, dass unsere Stimmen, die legitime Wahl, geraubt werden. Deshalb gehen wir auf die Straße.

Die indigenen Völker haben die Proteste initiiert, führen sie landesweit und nicht nur in den Regionen an. Das ist neu. Wie kommt das?

Das ist richtig. Wir haben hier in Alta Verapaz Versammlungen durchgeführt, den Protest auf nationaler Ebene mitorganisiert. Das ist unser Beitrag für die Zukunft Guatemalas.

Neu ist jedoch, dass der Protest nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch in der Hauptstadt, in Guatemala Stadt, stattfindet. Die indigenen Völker sind nahezu landesweit aktiv.

Indigenen Widerstand hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben zum Beispiel gegen Wasserkraft oder Bergbauprojekte. Ich saß mehrere Jahre unschuldig im Gefängnis – wegen fingierter Beschuldigungen –, bin aber beileibe kein Einzelfall. Nun haben wir uns zusammengetan, diverse indigene Völker, um die Demokratie und die Hoffnung auf einen Wandel zu verteidigen. Die indigenen Autoritäten führen den Protest an – in den Regionen und der Hauptstadt. Es herrscht Einigkeit, denn die Korruption ist für viele unserer Probleme entscheidend.

2015 hat es die letzten vergleichbaren Proteste gegeben, damals gegen den korrupten Präsidenten Otto Pérez Molina. Wo liegen die Unterschiede zu heute?

Damals waren die Proteste vor allem spontan. Heute sind sie geplant und die indigenen Autoritäten sind es, die in der Öffentlichkeit auftreten, auch um internationale Unterstützung zu erbitten und Verhandlungen führen. Sie sind die Gesichter des Protests, die sich für eine demokratische Lösung engagieren und für Bernardo Arévalo, den designierten Präsidenten, eintreten. Das ist eine andere Konstellation.

Wie lässt sich dieser Protest aufrechterhalten? Drei Wochen nicht zu arbeiten, kein Einkommen zu haben, ist für die ohnehin oft arme indigene Bevölkerung schwer durchzuhalten.

Ja, aber es wird rotiert. Die einen gehen, die anderen kommen. Nur wenige sind durchgehend präsent, so wie die indigenen Autoritäten. Aber unstrittig ist, dass die Proteste ihren Preis haben. Doch es geht um die Zukunft des Landes, die Stimme der Mehrheit darf nicht zugunsten von wenigen Korrupten für ungültig erklärt werden. Wir wehren uns dagegen, dass ein demokratisches Votum nicht akzeptiert wird, wollen den Wandel. Die Bevölkerung ist der Korruption überdrüssig, die dieses Land seit Jahren in den Fängen hat.

Hat sich die Rolle der indigenen Bevölkerung verändert? Gibt es mehr Akzeptanz für ihren Widerstand in einer von Rassismus und Diskrimination geprägten Gesellschaft?

Die indigenen Völker widerstehen seit Jahrhunderten, haben ihren eignen basisdemokratischen Strukturen und das ist ein Vorteil, denn andere Bevölkerungsschichten haben diese autonomen Strukturen nicht. Das ist auch ein Grund, weshalb sie den Widerstand anführen.

Wie denken Sie über Bernardo Alváro?

Er genießt das Vertrauen des Großteils der indigenen Bevölkerung, weil er gegen die Korruption eintritt, die Studien zufolge rund vierzig Prozent des Staatshaushalts verschlingt. Von dieser Korruption sind die indigenen Völkern stärker betroffen als andere: Investitionen gibt es kaum in den indigenen Gemeinden und immer wieder geht es um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in unseren Gebieten.

Ist daher die vorherige Befragung, die consulta previa, so wichtig? Ein Einverständnis der indigenen Gemeinden zu Infrastrukturmaßnahmen und anderen staatlichen Eingriffen?

Ja, das ist der Weg. Wir wollen mehr Partizipation, weniger Korruption und deshalb ist die Vorab-Befragung der Gemeinden zu Bergbauprojekten, zu Wasserkraftwerken, zu Straßenbau und vielem mehr ein wichtiger Punkt.