nd-aktuell.de / 14.01.2024 / Kultur / Seite 1

Cocteau Twins: Songs wie warmer Nebel

Was sagt dein Körper? Als die Cocteau Twins klarer wurden

Benjamin Moldenhauer
Große Überraschung: Auf einmal sang Elizabeth Fraser klar.
Große Überraschung: Auf einmal sang Elizabeth Fraser klar.

Menschen, die beim Musikmachen auf ihre Füße gucken, weil der Blick in die nähere Umgebung zu angsteinflößend und irritierend ist. Und die Sounds und Songs verfertigen, die Hörerin und Hörer der Welt so weit, wie es Sender und Empfänger im Zusammenspiel jeweils möglich ist, entrücken. Die schottische Band Cocteau Twins spielte in den Jahren zwischen 1980 bis 1998 ein Traummusik. Songs wie warmer Nebel. Später packten andere Bands Distortion drauf, und man nannte das dann Shoegaze[1].

Sängerin Liz Fraser sang auf den ersten Cocteau-Twins-Alben in einer undeutlichen Weise. Zur Beschreibung dieser im Pop sehr seltenen Lautmalerei, die immer noch Reste von Sinnkonstruktion erahnen ließ, kursierte »mouth music« als Begriff. »Jahrelang haben Journalisten, Fans und die Labels verzweifelt versucht zu entschlüsseln, was Elizabeth Fraser gesungen haben mag«, verkündet die Band-Website nicht ohne Stolz.

Mit dem 1990er-Album »Heaven or Las Vegas« wurde alles klarer und transparenter, Stimme wie Musik. Die beiden folgenden Platten waren dann die letzten der Cocteau Twins, und sie wurden von den Fans nicht mehr allzu sehr gefeiert. Beide, »Four Calendar Café« (1993) und »Milk & Kisses« (1996), sind jetzt wiederveröffentlicht worden. Beim Wiederhören ist das Bild ein wenig komplexer. Alles klingt im Vergleich zu den kanonischen Songs weniger ätherisch und weniger versponnen. Man kann die Instrumente auseinanderhalten, und die Stimme schwebt über allem, anstatt immer wieder zu verschwinden und Hörerin und Hörer auf ihrem Weg ins undefinierte Drüben mitzunehmen.

Wenn der Nebel sich lichtet, bleiben erst einmal einfach strukturierte, sehr hübsche, aber auch nicht unbedingt überwältigende Popsongs übrig, die, wenn sie nicht von einer stilbildenden britischen Indie-Band der 80er- und 90er Jahre in die Welt gebracht worden wären, wohl eher unbemerkt geblieben wären. Mit dem Abstand von 30 Jahren tauchen dann aber doch einige Schönheiten wieder auf. Zum Beispiel der Song »Theft, and Wandering Around Lost« auf »Four-Calendar Café«, ein musikalisch und gesanglich sehr zartes Stück. Mit einem Text, der die eigene Stärke einfordert, von sich selbst: »My body is my own / My body is mine alone / And I deserve protection / And I can create it for you«. Und im Refrain geht die Stimme dann in die Höhe, das lyrische Ich schaut zurück und fragt sich: »Is this what my body said / Use me, drain me, fall around me?« Natürlich hat der Körper das nicht gesagt, sondern wollte etwas anderes eigentlich. Was, bleibt natürlich undeutlich und verwaschen.

Ähnlich schön und genau in der Beziehungsbeschreibung ist »Bluebeard«. Das Stück sei, meinte der Gitarrist Robin Guthrie, der Country-Song der Cocteau Twins. Elizabeth Fraser fragt sich Dinge: »Are you safe? Are you my friend? Or are you toxic for me? Will you betray my confidence?« Keine Ahnung, ob der Begriff »toxisch« [2]1993 in England schon gängig war, falls nicht, haben die Cocteau Twins an seiner Etablierung mitgewirkt. Der Mensch, der hier beschwingt angesungen wird, bleibt ebenfalls ungreifbar: »This love’s a nameless dream / And healthy boundaries / And how long would you miss me«.

Die überraschende und ambivalente Schönheit, die die Cocteau Twins in ihren besten Momenten in die Welt zu stellen wussten, sie taucht auch auf den letzten beiden Alben der Band immer wieder auf. Nicht durchgängig leider, aber die Suche lohnt.

Cocteau Twins: »Four-Calendar Café« (Proper/H’Art)
Cocteau Twins: »Milk & Kisses« (Proper/H’Art)

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171033.kastrierte-philosophen-vergangenheit-wird-gegenwart.html?sstr=shoegaze
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169143.feminismus-statt-egoismus-von-der-schoenheit-kollektiver-fuersorge.html?sstr=toxisch