Schatten auf dem Wirtschaftswunder

Im polnischen Wahlkampf geht es auch um ökonomische und soziale Themen

  • Cezary Kowanda, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Sonntag finden in Polen vorgezogene Parlamentswahlen statt. Zwar wird die Wirtschaftslage allgemein als sehr gut bezeichnet, aber immer noch trüben die hohe Arbeitslosigkeit, die desolate Infrastruktur und der Exodus der Arbeitskräfte das Bild.

Die oppositionelle liberale Bürgerplattform verspricht Polen auf den Wahlplakaten ein Wirtschaftswunder. »In Irland ist es gelungen. Warum soll es in Polen anders sein?«, fragt der Vorsitzende Donald Tusk. »Wir haben schon jetzt das Wirtschaftswunder«, erwidert Jaroslaw Kaczynski, Ministerpräsident und gleichzeitig Spitzenkandidat der konservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.

Tatsächlich wächst die polnische Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als sechs Prozent – so schnell wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Arbeitslosenquote sinkt kontinuierlich, liegt aber immer noch bei fast zwölf Prozent. Auch das Haushaltsdefizit hält sich in Grenzen. Nach jahrelanger Stagnation steigen endlich die Löhne, die aber immer noch weit unter dem westlichen Niveau liegen.

Auch an weiteren wirtschaftlichen Sorgen fehlt es in Polen nicht. Eine der größten Herausforderungen ist die Situation auf dem Immobilienmarkt. Besonders in den Großstädten haben sich die Preise beim Wohnungskauf zuletzt fast verdreifacht. Auch die Mieten steigen viel schneller als die offizielle Inflationsrate. Die regierenden Konservativen sind mit dem bei den letzten Wahlen 2005 vorgestellten Programm »Drei Millionen neue Wohnungen« grandios gescheitert. Diesmal will keine Partei verbindliche Zahlen nennen, aber alle versprechen, Wohnungen – besonders für junge Leute – wieder zugänglicher zu machen.

Der Massenexodus polnischer Arbeiter Richtung Großbritannien, Irland oder Skandinavien dauert immer noch an. Zwar hat sich die Zahl der Ausreisenden verringert, aber viele Emigranten sind inzwischen erfolgreich und haben keine Absicht, rasch nach Polen zurückzukommen. Und so sind zahlreiche Spitzenkandidaten nach London und Dublin geflogen, um dort für die Stimmen der polnischen Auswanderer zu kämpfen. Sowohl Bürgerplattform als auch die Kaczynski-Partei, die sich in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen leisten, versprechen, nach einem Wahlsieg bessere Arbeitskonditionen zu schaffen und so viele Polen zur Rückkehr zu bewegen.

Für die Gebliebenen hat das Parlament schon kurz vor der Selbstauflösung großzügige Geschenke gemacht. Dank der besseren Konjunktur und wachsender Steuereinnahmen wurden hohe Steuerfreibreiträge für Familien mit Kindern eingeführt. Im Wahlkampf werben die Liberalen mit einer Senkung der Einkommensteuer und des Mehrwertsteuersatzes, der bei 22 Prozent liegt. Die Konservativen versprechen, länger Elterngeld zu zahlen. Eine ganz andere Strategie verfolgt das Linksbündnis »Linke und Demokraten«, unterstützt vom früheren Präsidenten Aleksander Kwasniewski. Es sieht weitere Steuersenkungen skeptisch, fordert dagegen höhere Sozialabgaben.

Anders als vor zwei Jahren ist indes eine »Flat Tax« (niedrige Einheitssteuer) kein Thema. Damals kostete diese Idee die Bürgerplattform viele Stimmen, da sie als unsolidarisch und nur posititv für Gutverdienende gilt. Auch über eine Euro-Einführung diskutieren in der heißen Phase des Wahlkampfes nur wenige. Kleine nationalistische Parteien sind strikt dagegen, die Liberalen und Sozialdemokraten bevorzugen einen schellen Beitritt zur Eurozone, während die regierenden Konservativen eine Volkabstimmung über dieses Thema präferieren. Sollte die nächste Legislaturperiode wie geplant vier Jahre dauern, wird es das am Sonntag gewählte Parlament sein, das 2009 oder 2010 die Entscheidung über die Euro-Einführung treffen muss.

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