Bundesregierung hat kein Problem mit Haftbedingungen in Ungarn

Polizei in Finnland nimmt weiteren Gesuchten fest

Am Rande des diesjährigen Naziaufmarschs in Budapest wurde auch ein Filmteam des »nd« bedroht.
Am Rande des diesjährigen Naziaufmarschs in Budapest wurde auch ein Filmteam des »nd« bedroht.

Quer durch fast alle Parteien sind Politiker in Italien entsetzt, wie erniedrigend die aus Mailand stammende Antifaschistin Ilaria Salis von der ungarischen Justiz behandelt wird. Wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen und einer Vorführung in Ketten vor Gericht hat die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit ihrem Amtskollegen Victor Orbán telefoniert, zuvor wurde der ungarische Botschafter einbestellt. Obwohl ein deutscher Staatsbürger mutmaßlich unter gleichen Bedingungen im Gefängnis in Budapest einsitzt, hat die Bundesregierung hierzu bislang aber keine Initiative unternommen. Das bestätigten das Außen- und das Justizministerium in der Bundespressekonferenz am Montag in Berlin.

Der Fall des inhaftierten Tobias E. aus Berlin sei dem Auswärtigen Amt zwar bekannt und diesem sei auch den Gepflogenheiten entsprechend die konsularische Betreuung in der Untersuchungshaft angeboten worden. Auch hätten Mitarbeiter der deutschen Botschaft den Prozessauftakt Ende Januar beobachtet. Eine Verständigung auf Regierungsebene, wie im Falle Italiens, habe es aber nicht gegeben, so die Sprecher der beiden Ministerien.

Hintergrund der Verstimmungen zwischen Italien und Ungarn ist der Budapester Antifa-Prozess, in dem sich Beschuldigte aus Italien und Deutschland wegen Mitgliedschaft in einer »linksextremistischen Organisation junger Erwachsener« verantworten müssen. Einigen Mitgliedern dieser Vereinigung, darunter Ilaria Salis, werden außerdem Angriffe auf tatsächliche oder mutmaßliche Teilnehmer des Naziaufmarschs am »Tag der Ehre« vor einem Jahr in Budapest zur Last gelegt. Dabei wurden neun Personen teils schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft stellt einige der Opfer als »Wanderer und Touristen« dar, ein Bericht auf Indymedia hat diese Behauptung jedoch in mehreren Fällen widerlegt.

Im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« ermittelt die Budapester Polizei gegen 14 weitere Aktivisten mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit und hat hierzu eine internationale Fahndung veranlasst. Den in Italien bereits im November festgenommenen Gabriele M. will die dortige Staatsanwaltschaft angesichts des hohen Strafmaßes und der zu erwartenden, menschenunwürdigen Haftbedingungen jedoch nicht ausliefern.

In Deutschland droht in derselben Sache einer in Dresden inhaftierten Person, die von Unterstützern Maja T. genannt wird, eine Auslieferung. Hierüber muss das Berliner Kammergericht entscheiden. Ob das Gericht hinsichtlich der menschenunwürdigen Haftbedingungen in Ungarn ähnliche Bedenken hegt wie die italienische Justiz, ist nicht bekannt und angesichts der Teilnahmslosigkeit des deutschen Justizministeriums auch nicht zu erwarten.

In der vergangenen Woche wurde in Helsinki nach einem EU-Haftbefehl aus Ungarn ein Mann festgenommen, der ebenfalls wegen der Vorfälle im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« 2023 in Budapest gesucht wurde. Das bestätigte die Budapester Polizei dem »nd«. Die Auslieferung sei beantragt und werde von einem finnischen Gericht geprüft. Ein MDR-Journalist hatte zuvor gemutmaßt, der Mann stamme aus Italien.

Am Samstag haben sich abermals Tausende Teilnehmer in Budapest zum »Heldengedenken« und einer anschließenden Wanderung in die anliegenden Buda-Hügel getroffen. Die rechte Mobilisierung sei dieses Jahr sogar größer als in den Vorjahren gewesen, schreibt die Pressesprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Eine ursprüngliche für den Samstagvormittag geplante Kundgebung der Neonazis in der Innenstadt sei aber verboten worden, Hunderte von ihnen hätten sich daraufhin unter den Augen der Polizei zu einem angeblich spontanen Flashmob getroffen. Wie in den vergangenen Jahren wurden auch am Samstag offen nationalsozialistische Symbole gezeigt. Dies ist auch in Ungarn verboten, die Polizei schritt dazu aber nicht ein.

Auch in diesem Jahr haben mehrere Hundert Menschen gegen die Nazi-Aktivitäten in Ungarn protestiert. Eine linke Demonstration in Budapest war von der Polizei sehr eng begleitet und abgefilmt worden. Bereits im Vorfeld hatte die ungarische Polizei einen vom österreichischen KZ-Verband, den österreichischen Sozialdemokratischen Freiheitskämpfern und der VVN-BdA organisierten Bus bei der Anreise gestoppt. Die Ausweise der Insassen wurden kontrolliert und sämtliche Personen fotografiert, ebenso die mitgeführten Fahnen, Zeitungen, Schilder und Aufkleber. Ein Aktivist sei laut der VVN-BdA sogar gezwungen worden, sein Telefon zu entsperren.

Zum diesjährigen »Tag der Ehre« haben die zuständigen Landeskriminalämter mehreren deutschen Neonazis die Ausreise untersagt. »Sechs Personen des rechtsextremistischen Spektrums« hätten sich trotzdem auf den Weg gemacht, schreibt die Bundespolizei auf Anfrage des »nd«. Einsatzkräfte hätten daraufhin »ausreiseverhindernde Maßnahmen« getroffen.

Trotzdem haben es offenbar auch Deutsche zum »Heldengedenken« geschafft. Ein Filmteam des »nd« wurde am Rande des Aufmarschs mit den Worten »Euch werden wir alle kriegen, ihr scheiß Wichser« bedroht.

"Tag der Ehre" in Budapest: Neonazi-Wanderung muss endlich verboten werden
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