Bundeswehr in Afghanistan: Schluss mit der Schönfärberei

Thomas Ruttig über die Bilanz der Enquete-Kommission

  • Thomas Ruttig
  • Lesedauer: 3 Min.
Kränze für getötete Soldaten beim Abschlussappell zum Ende des Afghanistan-Einsatzes im Verteidigungsministerium
Kränze für getötete Soldaten beim Abschlussappell zum Ende des Afghanistan-Einsatzes im Verteidigungsministerium

Nach Jahren systematischer Schönfärberei durch wechselnde Bundesregierungen hat eine Enquete-Kommission des Bundestags eine schonungslose Bilanz des »deutschen Handelns« im Afghanistan-Einsatz 2001 bis 2021 vorgelegt. »Gemeinsam mit seinen internationalen Partnern« sei man »strategisch gescheitert«, stellt das zuletzt aus elf Abgeordneten – Die Linke schied Ende des vergangenen Jahres aus – und zwölf Sachverständigen bestehende Gremium in seinem am Montag vorgelegten Zwischenbericht fest.

»Gesamtstaatliche Strategiebildung« und »ressortübergreifende Planung« seien nicht erkennbar gewesen. Eine »fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme« des Einsatzverlaufs habe »nicht ausreichend stattgefunden«. Es habe an »Landeskenntnis und Konfliktverständnis« gemangelt, obwohl das in der »universitären und außeruniversitären Forschungslandschaft durchaus vorhanden« gewesen sei. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich Politik und Ministerialbürokratie nicht von außen hineinreden lassen wollten. In der Demokratieförderung habe es an »Konsistenz im Handeln« gemangelt. Zu geringes Augenmerk genoss insgesamt der zivile Wiederaufbau und blieb mit 5 bis 15 Prozent »im Gesamtverlauf« unterfinanziert.

Thomas Ruttig

Thomas Ruttig arbeitete von 2000 bis 2006 in offizieller Funktion in Afghanistan, u.a. für die Uno, und wurde 2022 als Zeuge in der Enquete-Kommission angehört.

Vernichtend durfte das Urteil aber nicht ausfallen. Schon kurz vor Einsetzung der Kommission im Sommer 2022 hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einer Konferenz der afghanischen Diaspora in Berlin im Grunde ein Ergebnis vorgegeben: Diese Untersuchung könne »das gemeinsame Credo« bekräftigen, dass »dieser Einsatz nicht vergebens« gewesen sei. 

Vor allem gesteht der Bericht der Bundesregierung »Teilerfolge« wie die zumindest zeitweilige »Verbesserung der Lebensverhältnisse« in Afghanistan zu, relativiert aber an anderer Stelle, »die Zunahme der Armut« habe »nicht nachhaltig begrenzt werden« können. Es gab nur punktuell wichtige diplomatische Beiträge: 2010 trug Berlin zur Aufnahme politischer Gespräche mit den Taliban bei und organisierte ab 2018 mit Katar einen innerafghanischen Dialog, um die afghanische Regierung in eine angestrebte Machtteilung zu integrieren – allerdings ohne Erfolg. Vor allem habe man sich »in seinem Verantwortungsbereich«, den Bundeswehr-Stationierungsorten in Nord-Afghanistan, als »guter Verbündeter« der USA gezeigt. Die kritisierten allerdings jahrelang, dass die Bundeswehr nicht energisch genug gegen die Taliban vorgehe.

Als roter Faden scheint im Bericht durch, dass die Bundesregierung eigene Spielräume nicht ausnutzte, auch nicht in europäischer Kooperation. Sie folgte lieber dem militärisch eskalierenden und schließlich zur erneuten Machtübernahme der Taliban führenden US-Politik. So blieb man – mit großem Abstand – der größte unter den kleinen, letztlich nicht ausschlaggebenden Akteuren in Afghanistan. Im Bericht heißt es deshalb, man sei auch hinter den »Erwartungen der afghanischen Partner«, insbesondere der Bevölkerung, zurückgeblieben.

An diesem Freitag debattiert der Bundestag den Bericht. Die Kommission will dort beantragen, ihre Arbeit um ein halbes Jahr bis ins nächste Frühjahr zu verlängern.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -