nd-aktuell.de / 27.02.2024 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Kenia: Kliniken können Ärzte nicht bezahlen

Dianah Mugalizi von Debt for Climate über Folgen des Schuldensystems in Kenia

Interview: Nico Graack

Frau Mugalizi, Sie sind in Vollzeit in verschiedensten Umweltprojekten und -gruppen in Kenia aktiv. Aus welchem Antrieb?

Das ist für mich zunächst ganz einfach: Ich komme aus einem Land, in dem viele Menschen die Auswirkungen der Klimakatastrophe[1] am eigenen Leib erfahren und noch nicht einmal einen Platz an den Verhandlungstischen haben. Das habe ich als meine Aufgabe begriffen: für meine Gemeinschaften zu sprechen und ihre Stimmen zu erheben.

Die Klimakatastrophe am eigenen Leib erfahren – was heißt das konkret?

Erst hatten wir in Kenia[2] drei unglaublich trockene Jahre, was für die Landwirtschaft und die Wasserversorgung ein ernsthaftes Problem ist – nur damit dann im vergangenen Jahr heftige Fluten ganze Dörfer wegspülten. Für mich war die wichtigste Erfahrung aber vielleicht, dass meine Urgroßmutter, meine Großmutter und meine Mutter alle mit drei Steinen und Feuerholz gekocht haben. Was dabei freigesetzt wird, wirkt sich auf die Gesundheit aus. Und es sind diese Frauen, die kochen, sich auf die Suche nach Feuerholz machen, Wasser holen und auf die Felder gehen. Ich dachte mir: Da muss ich was tun. Ich versuche, diesen Frauen Zugang zu sauberer Energie zu verschaffen.

Neben lokalen Projekten sind Sie auch in der globalen Kampagne Debt for Climate tätig, die eine Schuldenstreichung für die Länder des globalen Südens fordert. Warum ist das so wichtig?

Auch das ist zunächst eine persönliche Sache: Kenia hat eine extrem hohe Schuldenlast. Und was tun unsere Regierungsbeamten? Sie erhöhen unsere Steuern rund um die Uhr. Sozialsysteme, Bildung, Gesundheit – alles wird gekürzt. Die Krankenhäuser können sich keine Medikamente leisten, sie können Ärzte nicht bezahlen. Die Schulden sind einer der Gründe dafür.

Und wenn sie nun gestrichen werden?

Dieses Geld muss in gut strukturierte Aufbaupläne – sei es im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen, in Wirtschaft oder Bildung – fließen[3], die dem Klimawandel entgegenwirken und uns auf seine Folgen vorbereiten. Dabei sollten wir eine sehr strenge Rechenschaftspflicht entwickeln, wo das Geld hinfließt, wer es wie verwendet.

Debt for Climate sieht einen Zusammenhang zwischen dem Schuldensystem und der Klimakatastrophe. Untergräbt es die Bereitstellung von Mitteln für Umweltschutz?

Nicht nur. Es gibt auch einen ganz direkten Zusammenhang. Eines der größten Probleme in Kenia ist der Goldabbau. Die Chemikalien verseuchen unseren Boden, unser Trinkwasser, alles. In manchen Regionen schürfen bis zu 80 Prozent der Jugendlichen in den Goldminen. Die Bedingungen sind schrecklich. Erst vor wenigen Tagen ist einer der Schächte in meinem Dorf eingestürzt, mit fünf Jugendlichen darin. Ich habe mit vielen Jugendlichen zu tun und kann Ihnen sagen: Sie wollen da nicht sein. Viele haben eine gute Ausbildung, aber es gibt einfach keine Alternative, um wenigstens eine Mahlzeit am Tag auf den Tisch zu bringen. Und damit hat das Schuldensystem ganz direkt zu tun. Es ist aufs Engste mit der Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen verbunden.

Ihr Fokus richtet sich auf den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, obwohl China und lokale Privatanleger mehr von den Staatsschulden halten. Warum?

Diese beiden Institutionen hatten über Jahrzehnte einen riesigen Einfluss auf die Gesetzgebung sowie die Politik und sitzen letztendlich immer noch an wichtigen Hebeln. Wir wollen also an den Kern des Problems: Statt gegen die einzelnen Gesetze und Richtlinien zu kämpfen, fokussieren wir uns auf die Leute, die sie machen. Und darin sehe ich als Afrika-Koordinatorin von Debt for Climate die Verbindung zwischen unseren Ländern. Es geht um gerechtere globale Wirtschaftsstrukturen. Und die Schuldenstreichung ist eine Vorbedingung dafür, die wir wirklich erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten. Es war ja für Deutschland nach dem Krieg auch möglich: Vor 71 Jahren wurden die Altschulden gestrichen (im Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953, Anm. d. Red.). Warum soll das für uns nicht gehen?

Wie wollen Sie das erreichen?

Vor allem mit Druck auf die kenianische Regierung. Wir versuchen zudem, die Menschen an Ort und Stelle aufzuklären, in Veranstaltungen und über die Medien. Dabei planen wir auch eine Dokumentation der vielen ungehörten Geschichten dieser Menschen.

Und außerhalb von Kenia?

Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in aller Welt ist natürlich zentral und das, was uns als Debt for Climate ausmacht. Erst als globale Bewegung können wir den nötigen Druck ausüben. Mein Aufruf an alle in Deutschland ist also: Schließen Sie sich uns an! Es geht um unser aller Planeten. Und es geht um das Leben unserer afrikanischen Kinder, die vielleicht auch einmal annähernd so wie Sie leben wollen. Wir haben alle Ressourcen, die dafür nötig sind. Wir haben die Ausbildung, wir haben die Menschen. Nur das Schuldensystem legt uns weiter Fesseln an.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180071.klimawandel-geschlechtergerechtigkeit-in-der-klimakrise.html?sstr=klimakrise
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166097.landwirtschaft-mit-eigenanbau-gegen-den-hunger.html?sstr=kenia
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176913.iwf-internationaler-waehrungsfonds-streicht-die-schulden.html?sstr=weltbank