Deutschland ist nach den Analysen des Netzwerks Steuergerechtigkeit ein Steuerparadies für Superreiche und ein idealer Geldwäscheplatz für Waffenhändler, Drogenschmuggler, Steuerflüchtlinge[1] und andere Verbrecher. Die Steuerlöcher summieren sich auf 75 bis 100 Milliarden Euro jährlich. Die Vermögensverteilung in Deutschland ist eine der ungleichsten der Welt.1 Kann man daran wirklich nichts ändern? Müssen die Multimillionäre noch weiter entlastet werden, damit die deutsche Wirtschaft nicht untergeht?
Tatsächlich ist die Ungerechtigkeit des deutschen Steuersystems geradezu absurd. Eine Geringverdiener*in zahlt die Hälfte ihres Einkommens für Steuern und Sozialabgaben – Susanne Klatten, die reichste Frau Deutschlands aus der Unternehmerdynastie Quandt, weniger als ein Prozent. 220 Kinder von Multimillionären erbten im Jahr 2022 steuerfrei 43 Milliarden Euro – Geld für eine Kindergrundsicherung für drei Millionen Kinder, die in Armut aufwachsen, ist aber nicht vorhanden. Das Erbe eines Handwerksbetriebes wird mit um die 15 Prozent besteuert. Die fünf größten Digitalkonzerne der Welt, Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook) und Microsoft, zahlen auf ihre Gewinne in Deutschland einen Steuersatz von etwa 2,5 Prozent. Der Steuersatz in den USA liegt selbst nach der radikalen Halbierung der Steuersätze unter Präsident Donald Trump immer noch fast fünfmal so hoch.
Das alles hat auch politische Auswirkungen. Während in den goldenen Jahren der Demokratien nach dem Zweiten Weltkrieg die Ungleichheit in Westeuropa und Nordamerika stark zurückging, nimmt der Abstand zwischen Arm und Reich seit 1980 weltweit wieder zu. Zugleich steht die Menschheit mit Artensterben und Klimawandel[2] vor einer existenziellen Krise, die durch Ereignisse wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg noch verstärkt wird. In der Folge nahm in den vergangenen Jahren das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie dramatisch ab. Wurde im Jahre 2000 erstmals die Hälfte der Menschheit einigermaßen demokratisch regiert, so sind es mittlerweile nur noch 30 Prozent.
Es stellt sich daher die Frage: Ist ein faires, gerechtes Steuersystem in Zeiten der Globalisierung möglich – und wenn ja: Wie sollte es aussehen?
Vor einigen Jahren begannen wir2 damit, zu recherchieren und nachzurechnen, wie ein Steuersystem aussehen müsste, das dazu beiträgt, die Ungleichheit schrittweise abzubauen. Das Ergebnis hat uns geradezu erschreckt und entmutigt. Spitzensteuersätze von über 90 Prozent für die Einkommen (ab einem Jahreseinkommen von 40 Millionen Euro) oder für die Erbschaften (für eine Erbschaft über eine Milliarde Euro) klingen so radikal, dass wir uns kaum trauten, diesen Vorschlag in eine aktuelle Diskussion einzubringen. Wer aber die Geschichte der Steuersysteme studiert, stellt verblüfft fest, dass solche Prozentsätze keineswegs neu sind. Über Jahrzehnte lagen die Steuern in den USA und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg in solchen Höhen, die heutzutage nicht mehr vorstellbar sind. Das hat uns ermutigt weiterzuarbeiten.
Nun gibt es natürlich die bekannten Argumente des Verbandes »Die Familienunternehmer«, die sagen, dass so hohe Steuern der Ruin unserer Wirtschaft wären. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es sich bei diesem Verband um einen Club von Multimillionären handelt, dessen Stellungnahmen von der Politik mit sehr viel Vorsicht betrachtet werden sollten. Deswegen lohnt es sich, die häufigsten Argumente unter die Lupe zu nehmen:
An dieser Stelle muss ich die Liste der Argumente aus Platzgründen leider beenden und möchte nur noch erwähnen, dass auch das Bundesverfassungsgericht die große Ungerechtigkeit insbesondere bei der Erbschaftssteuer mehrfach angemahnt hat, was leider aber immer nur zu einer Verschlimmbesserung geführt hat. Eine neue Entscheidung des Gerichtes steht bevor.
Die Besteuerung von Vermögen und Einkommen darf aber nicht mit der Besteuerung von Unternehmen durch die Körperschaftssteuer und die Gewerbesteuer verwechselt werden. Denn diese können tatsächlich Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit der Firma haben. Aber auch hier gibt es längst Konzepte, die eine angemessene Besteuerung sicherstellen und den Steuer-Dumping-Wettlauf der Staaten beenden würden. Das Stichwort dafür heißt »Gesamtkonzernbesteuerung«. Damit würde sichergestellt, dass die Gewinne von Firmen dort besteuert werden, wo diese wirtschaftlich tätig sind, und nicht in Steueroasen, wo sie nur eine Briefkastenfirma besitzen. Eine solche Besteuerung hat das EU-Parlament schon mehrfach beschlossen – und ist immer wieder am Votum der Steueroasen im Europäischen Rat gescheitert. Auch die UN-Vollversammlung hat zuletzt eine entsprechende internationale Tax Convention gefordert. Deutschland hat zwar dagegen gestimmt, will aber nun konstruktiv mitarbeiten.
Natürlich muss das Steuersystem so gestaltet werden, dass die deutschen Firmen konkurrenzfähig bleiben. Aber wer Steuerdumping, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung zulässt, schneidet sich nur ins eigene Fleisch. Ein faires Steuersystem ist möglich – auch ein konkurrenzfähiges. Unsere Politiker sollten aufhören, sich von Milliardären ins Bockshorn jagen zu lassen. Zumindest diejenigen, die bei jenen nicht auf der Payroll stehen.
[1]Siehe Marc Buggeln: Die Besteuerung des Reichtums – Die Erbschaftsteuer in Geschichte und Gegenwart. Online-Magazin »Geschichte der Gegenwart«, gelesen am 21.3.2023 in: https://geschichtedergegenwart.ch/die-besteuerung-des-reichtums-die-erbschaftsteuer-in-geschichte-und-gegenwart/
[2]Die Diskussionen erfolgten im Rahmen der bundesweiten Arbeitsgruppe Finanzmärkte und Steuern der Organisation Attac. Das Ergebnis war das Attac-Steuerkonzept – siehe Attac (2022).
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180445.steuersystem-raus-aus-dem-steuerparadies.html