nd-aktuell.de / 01.03.2024 / Kommentare / Seite 1

Das Prinzip Bezahlkarte

Leo Fischer über soziale Grausamkeit in der Pyramide der Klassengesellschaft

Leo Fischer

Soeben hat sich die Ampel auf »Bezahlkarten« für Asylbewerber*innen[1] geeinigt. Nun soll es den Ländern möglich sein, einen großen Teil der vorgeschriebenen Sozialleistungen als Kartenguthaben statt als Bargeld zu zahlen. Sämtliche Landesregierungen haben signalisiert, solche Bezahlkarten anzustreben; in einigen Bundesländern sind sie schon Alltag.

Die Bezahlkarten sind Teil eines imaginationspolitischen Programms, bei dem für ein nicht existentes Problem Lösungen produziert werden, die leider sehr realen Schaden anrichten. Das imaginierte Problem: Asylbewerber*innen würden massenhaft ihre Sozialleistungen ins Ausland schicken. Abgesehen davon, dass es charakteristisch für Geldleistungen ist, dass man mit ihnen machen kann, was man will, hat kaum eine Behörde belastbare Zahlen zu diesem imaginierten Massenphänomen. Selbst wenn es sich um ein Massenphänomen handelte, wäre der Schaden überschaubar. Ähnlich wie bei den sogenannten Totalverweiger*innen beim Arbeitslosengeld geht es wahrscheinlich um eine niedrige vierstellige Personenzahl – im Milliardenapparat des Sozialsystems nur eine Randnotiz.

Die Bezahlkarten erfüllen ein rein ideologisches Bedürfnis[2]: den Wunsch nach sozialer Grausamkeit, den pyramidalen Sadismus der Klassengesellschaft. Er basiert auf einem pervertierten Gerechtigkeitsempfinden: Mir geht es nicht gut, deswegen muss es Leute geben, denen es noch schlechter geht. Eben erst hat ein CDU-Mann Asylbewerber*innen zur Zwangsarbeit verdonnert, zum Stundenlohn unter einem Euro. Jetzt soll die Gesellschaft auch bestimmen, was diese Menschen konsumieren dürfen. Mit Bezahlkarten werden sie effektiv vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen[3] – was man ihnen dann wieder zum Vorwurf machen kann, denn sie integrieren sich ja nicht!

Schon hat ein CDU-Mann die Ausweitung der Bezahlkarten auf Bürgergeldempfänger*innen ins Spiel gebracht. Und warum denn dort aufhören? Studierende erhalten ja ebenfalls etwas von der Gesellschaft, warum also nicht auch sie in die Pflicht nehmen? Ja, wenn man alle Empfänger staatlicher Subventionen auf Bezahlkarten setzen würde, dann wäre etwas los, denn dann hätten plötzlich auch DAX-Chefs keine Möglichkeit mehr, Bargeld auszugeben – und könnten es nicht in die Schweiz oder sonstwohin schicken. Das meint die CDU natürlich nicht, sondern es ist ein Instrument, das so alt ist wie der Kapitalismus: die Kriminalisierung von Bedürftigkeit, die Policierung der ohnehin Schwächsten.

Dass solche Überlegungen regelmäßig nicht bei Asylbewerber*innen enden, sondern zur Drangsal aller werden, stört diejenigen nicht, die ihrem Gerechtigkeitsbedürfnis nur durchs Treten nach unten Abfuhr verschaffen können. Noch nie waren so viele Haushalte armutsbedroht; die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Jahren in die Armut abzurutschen, hat sich für sehr viele Menschen deutlich erhöht. Die Brutalisierung vermeintlich Untätiger rechtfertigt die Schmach, die eigene Arbeitskraft jedes Jahr für ein bisschen weniger zu verkaufen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180139.bezahlkarte-restriktionen-fuer-alle-gefluechteten.html?sstr=Bezahlkarte
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179842.bezahlkarte-fuer-gefluechtete-diskriminierung-mit-karte.html?sstr=Bezahlkarte
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179602.berlin-bezahlkarten-kartentrick-gegen-gefluechtete.html?sstr=Bezahlkarte