nd-aktuell.de / 03.03.2024 / Kultur / Seite 1

Von der Notwendigkeit des Wünschens

Lydia Meyer hat mit »Die Zukunft ist nicht binär« ein kluges Sach- und Aufklärungsbuch mit persönlicher Note geschrieben

Paula Jeri Perschke
Von einer vielfältigen, freien und kreativen Gemeinschaft haben schließlich alle etwas.
Von einer vielfältigen, freien und kreativen Gemeinschaft haben schließlich alle etwas.

Das Queer- und Transfeindlichkeit real ist, zeigt sich nicht nur an den mit Hass und Ablehnung gefüllten Kommentarspalten unter Onlinebeiträgen, die sich mit Belangen und Problemlagen queerer Menschen in Deutschland beschäftigen. Die Zahl der weltweit gezählten Morde an trans Personen ist nach wie vor erschreckend hoch: So sind laut dem Monitoring von transrespect.org in den Jahren 2021-2023 jährlich über dreihundert Morde bekannt geworden. Auch in Deutschland nimmt die Gewalt gegen queere, insbesondere trans Personen zu. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Tötung des 25-jährigen Malte C., während einer Christopher Street Day-Veranstaltung im Sommer 2022 in Münster.

Doch nicht nur die Anzahl der Gewaltverbrechen ist erschreckend, auch die Ignoranz seitens Politik und Gesellschaft gegenüber den Bedürfnissen queerer Menschen. Halbgare und weiterhin diskriminierende Gesetzesentwürfe wie das 2023 beschlossene Selbstbestimmungsgesetz, die nach wie vor mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie die stetige Abwertung durch rechtskonservative Akteure zwingen queere und trans Personen in einen alltäglichen Kampf um Anerkennung, Würde und Sicherheit.

Um queeren Lebensrealitäten und Identitäten, ihren Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor allem aber auch dem Potenzial einer vielfältigen Gesellschaft Raum zu geben, hat Lydia Meyer »Die Zukunft ist nicht binär« geschrieben. In der gut recherchierten und leicht verständlichen Diskursschrift wird nicht nur die Zweigeschlechterordnung infrage gestellt, sondern auch konservative Weltbilder und Wertvorstellungen offengelegt und queerfeindliche Narrative durch schlüssige Argumentation entkräftet. »Es ist schwer bis unmöglich eine absolut neutrale Perspektive einzunehmen – umso wichtiger ist es, offenzulegen, aus welcher Perspektive gedacht und erzählt wird (...) auch ein weißer cis Mann blickt nicht neutral auf die Welt, es wird nur ständig davon ausgegangen, dass er das tut, weil die weiße cisgeschlechtliche Perspektive immer noch als Norm gilt, während andere Perspektiven als Aktivismus oder gar als Ideologie abgetan werden«,verdeutlicht Lydia Meyer bereits im Vorwort. Und genau darum geht es: Eine liebevolle Einnahme der eigenen sowie anderen nicht-binären Perspektiven auf Politik, Gesellschaft, Medien insbesondere die popkulturelle Repräsentation queerer Menschen. Wer in den Nullerjahren ein Teenager war, wird sich an das Fernsehen dieser Zeit erinnern – an unrealistische Körperbilder und eine Fixierung auf stereotype Geschlechterrollen in der starren Unterteilung von männlich und weiblich. Denken wir zurück an die wenigen queeren Vorbilder, die in den letzten zwanzig Jahren über die Bildschirme spaziert sind und wie sieht es eigentlich heute aus?

Was dem/der Autor*in, Redakteur*in und Konzepter*in Lydia Meyer besonders gut gelingt, ist die souveräne Entkräftung transfeindlicher Argumentationsmuster. Am hartnäckigsten hält sich bislang die Behauptung, es gäbe nun mal per Natur nur zwei Geschlecher, die außen vor lässt, dass Geschlecht bzw. Gender, so wie fast alles menschengemacht und konstruiert ist. »Abgesehen davon, dass auch in der Natur Organismen mit mehr als zwei Geschlechtern exisiterien und Tiere, die ihr Geschlecht wechseln, sind wir weder Pilze noch Einzeller, Schnecken, Blobs, Fische oder Vögel, sondern Menschen und damit soziale Wesen, die in Gesellschaften leben und von ihrer Umwelt und der Kultur, in der sie aufwachsen, sowie den damit einhergehenden Geschlecherrollen, gesellschaflichen Normen und Zwängen geprägt werden.« Lydia Meyer beschreibt dazu beispielhaft die vielen indigenen Gesellschaften, in denen es weitaus breitere und vielfältigere Vorstellungen von Geschlecht gibt. Das binäre System und dessen Durchsetzung außerdem sei stets mit Religion verbunden. So kommt es fälschlicherweise zu der Annahme, Mehrgeschlechterordnungen seien modern. »Modern«, schreibt Lydia Meyer, »ist nur die Gewalt gegen sie«.

Natürlich ist auch, wie so oft, wenn es um Fragen zu Gender geht, Sprache ein wesentlicher Bestandteil der kurzweiligen, doch inhaltlich starken Schrift. Warum werden sprachkritische Veränderungen stets öffentlich abgewertet? Ist unsere Gesellschaft denn nicht lernfähig? Doch, findet Lydia Meyer und verweist auf das neue Vokabular während der Corona-Pandemie, welches wir schnell und ohne große Mühen in unseren Sprachgebrauch aufnehmen konnten. Durch die vielen Beispiele, die leichte Sprache und die sensible Erzählweise ist Lydia Meyers Buch eine Einladung an alle, sich mit dem Thema der binären Geschlechterordnung auseinanderzusetzen, aber auch für Eltern und Großeltern von queeren und trans Kindern und Jugendlichen, die etwas lernen und verstehen wollen, denn von einer vielfältigen, freien und kreativen Gemeinschaft haben schließlich alle etwas. Wir müssen uns trauen, unsere Wünsche zu äußern, dafür plädiert Lydia Meyer sanft, aber deutlich: »Während die Welt um uns zusammenkracht, dürfen wir nicht vergessen, wie wir zusammenleben möchten, falls sie doch nicht untergeht.«

Lydia Meyer: Die Zukunft ist nicht binär. Rowohlt, 224 S., br., 14 €. Buchvorstellung und Gespräch[1] mit Lydia Meyer und Paula Jeri Perschke am 6. März, 19 Uhr, im Salon am FMP1 Berlin, Eintritt 8 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/termine/90525.html