nd-aktuell.de / 13.03.2024 / Kultur / Seite 1

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Bertolt bricht

Pisa-Verlierer Deutschland: Marie-Agnes Strack-Zimmermann inszeniert sich im Europawahlkampf allen Ernstes als »Oma Courage«

Erik Zielke

Marie-Agnes Strack-Zimmermann neigt der Bescheidenheit nicht zu. Für die FDP sitzt sie seit 2017 im Bundestag und ist dort seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Die eine oder der andere erinnert sich an die andauernden Rufe nach Waffen, die auch abgefeuert gehören. Gerne spricht sie von »Feindbildern«. Und kürzlich machte sie wieder auf sich aufmerksam, da sie erklärte, als Katholikin schäme sie sich für den Papst, der das Massensterben in der Ukraine nicht akzeptieren will.

Als Frau der Offensive zieht sie für den Partei gewordenen Zahnarztlobbyverband FDP nun in den Europawahlkampf. Auf den Plakaten prangt ihr Konterfei – mit dem Textzusatz »Oma Courage«. Hat da ein Freidemokrat, eine Freidemokratin etwa Brecht gelesen? Garantiert nicht.

Bertolt Brechts episches Drama »Mutter Courage und ihre Kinder«, während des Zweiten Weltkriegs (und gegen ihn!), verfasst, ist ein Stück gegen Militarismus und Kapitalismus. Die Titelheldin Anna Fierling, Mutter Courage genannt, ist keine Sympathieträgerin: Sie versucht, so gut es eben geht, am Krieg mitzuverdienen. Dabei verliert sie alles, auch das Leben ihrer Kinder. Der Leitspruch der Courage spricht eine deutliche Sprache: »Der Krieg is’ nix als die Geschäfte.«

Was sollte uns ein solches Wahlplakat wohl verraten? Wenn Krieg in Europa herrscht, dann muss auch daran verdient werden? Politisch und wirtschaftlich? Einigen ist offenbar nichts zu peinlich. Auch nicht die zur Schau gestellte Unkenntnis literarischer Klassiker.

Die Wahlkampagne sorgte für Furore in den sozialen Medien, wo man sich an derlei Dämlichkeit gut erfreuen kann. Strack-Zimmerman verteidigte sich auf der Kommunikationsplattform »X«, ehemals »Twitter«, ungelenk: Ein Zusammenhang zwischen dem FDP-Slogan und dem Titel von Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« bestehe nicht. Alles Zufall also. Nun steht man aber nicht weniger dumm da, wenn man behauptet, rein gar nichts mehr zu merken.

Da ist es eine hübsche Pointe, dass der Hau-drauf-Journalist Jan Fleischhauer, Autor des Buches »Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde«, der Frau Politikerin in den sozialen Medien beisteht. Auf »X« lässt er über »Oma Courage« wissen: »Funktioniert trotzdem. Weil kaum noch einer Brecht kennt, geschweige denn etwas von ihm gelesen hat. Was schade ist.«

Fleischhauer, der konservative Literaturliebhaber, muss es wissen. Auf seinem »X«-Profil wartet er mit einem schönen Zitat auf: »Wenn Du ausruhst, kriegen sie Dich«. In Klammern hat der »Focus«-Kolumnist hinzugesetzt: »Thomas Mann, 1956«. Ganz recht, das Zitat soll von dem Thomas Mann stammen, der bereits 1955 gestorben ist und dergleichen nie gesagt hat.