nd-aktuell.de / 19.03.2024 / Kultur / Seite 1

Die Renaissance von Arbeitskämpfen

Ulrike Eifler über einen globalen Protestzyklus zwischen Autoritarismus und Aufbruch

Tim König

Eine Protestwelle durchzieht die Bundesrepublik, wie lange nicht mehr erlebt, letztens wohl Anfang der 80er Jahre. Deutschland ist nicht gerade ein klassisches Streikland, das sind eher Frankreich, Italien, Griechenland und Spanien. Deren Arbeiter und Bauern es nunmehr jedoch eher den Deutschen nachmachen wie die Traktoren-Demos bezeugen. Die Mehrheit der Bevölkerung hierzulande hat Verständnis für die Ausstände und Proteste (auch wenn dies von den Medien so nicht reflektiert wird); viele beteiligen sich, andere wissen, ein Erfolg wird auch ihnen zugutekommen. Da erscheint dieses Buch zur rechten Zeit. Ulrike Eifler untersucht anhand von sieben Ländern das »Wechselspiel von globalem Protest, wachsendem Autoritarismus und der Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften als den großen Klassenorganisationen der Gegenwart«, wie Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken, in seinem Vorwort schreibt.

Es geht der 1975 geborenen, studierten Politologin und Soziologin, die als Journalistin und Gewerkschaftsfunktionärin tätig war, insbesondere um die Verquickung derzeitiger »erheblicher ökonomischer, sozialer und politischer, ja geradezu tektonischer Umbrüche«, um die tiefgreifenden Transformationen der Wirtschaft (»Eine auf fossile Energien basierende Industrie hat keine Zukunft mehr«), aber auch um neue Arbeitswelten im Gefolge der Coronakrise sowie die allgemeine Verunsicherung durch die neuen Kriege weltweit, neuerdings gar wieder in Europa. Zugleich registriert Ulrike Eifler das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte. »Eines der bedeutendsten gesellschaftlichen und politischen Resultate als Reaktion auf die Veränderungen ist die starke Zunahme autoritärer Tendenzen.«

Diese nehmen rund um den Globus zu, von Griechenland über die USA bis Südkorea. »Es gibt Kontakte unter der extremen Rechten, die weit über die Grenzen Europas hinausreichen.« Und es globalisiere sich leider auch der Aufstieg autoritärer Präsidenten. Was die Bedingungen für Arbeitskämpfe wesentlich beeinträchtigt. »Obgleich es im Zuge der Anti-Krisen-Proteste auch ein ›Comeback von Arbeitskämpfen‹ gab, waren Gewerkschaften selten die Initiatoren eines breiteren gesellschaftlichen Protestes«, diagnostiziert die Autorin. In Tunesien war es die prekarisierte Jugend, in Hongkong waren es Schüler und Studenten, in Chile ebenso, wo die Empörung über Fahrpreiserhöhungen den Verkehr fast im ganzen Land lahmlegte. Gleiches gilt für Südafrika und Philippinen.

Ulrike Eifler konstatiert: »Obwohl die Gewerkschaften nirgends zu den Protestinitiatoren gehören, gewinnen die sozialen Bewegungen an gesellschaftlicher Breite und bekommen eine Durchsetzungsperspektive, sobald Gewerkschaften zur Teilnahme daran aufrufen.« In Hongkong etwa folgten 350 000 Beschäftigte dem Aufruf zum Generalstreik. Für Industriestaaten des Globalen Nordens wie die USA, Großbritannien, Spanien, Irland, Portugal oder Frankreich sei nach 2011 zu beobachten, dass linke Parteien und Kandidaten Rückhalt gewannen, was einerseits Ausdruck der neuen sozialen Bewegungen sei, andererseits die Politisierung von Streiks beförderte. Dieser Befund gilt leider nicht für Deutschland, wo die SPD und mehr noch die Linkspartei erhebliche Ansehens- und vermutlich Stimmenverluste erleiden. Überraschenderweise gibt es in diesem Buch ausgerechnet keine Länderstudie zu Deutschland.

Den Zuwachs für rechte Parteien, die auf die Protestbewegungen aufsatteln, schreibt die Autorin der »organischen Krise« (Frank Deppe) des Kapitalismus zu. Mit der Finanzkrise habe sich der Neoliberalismus ideologisch und politisch diskreditiert, nicht nur wegen der milliardenschweren staatlichen Rettungspakete für die von Pleiten bedrohten »systemrelevanten« Banken, während es gravierende Einschnitte im sozialen Bereich gab. Auch der »repressive Staatsausbau« im Gefolge von Terrorangriffen wie in Paris 2015 oder zur Eindämmung der Pandemie habe weltweit rechte Kräfte befeuert.

Autoritäre Populisten spielen mit Abstiegsängsten in der Mittelklasse, was beispielsweise erfolgreich Donald Trump in den USA gelang, der sich vor allem der Unterstützung der weißen Industriearbeiter in Ohio, Michigan oder Pennsylvania erfreuen konnte. Oder Viktor Orbán in Ungarn, der die unbegründete Furcht vor Wohlstandseinbußen durch Migranten nutzte, ebenso seine Gefährtin im Geiste Marine Le Pen in Frankreich. Der Wohlstandschauvinismus der Mittelklasse sei auch für den Aufstieg autoritärer Regime in Philippinen und Thailand verantwortlich. Als Gemeinsamkeit autoritärer Entwicklungen im Nord-Süd-Vergleich sieht die Autorin »die Stillstellung von Lohnabhängigenmacht« als Voraussetzung für die Reorganisierung bzw. den Machterhalt der bürgerlichen Kräfte.

In speziellen Kapiteln analysiert Ulrike Eifler das autoritäre Kisenmanagement in der Corona-Zeit, das sehr unterschiedlich ausfiel und doch allerorten gleichermaßen den Rechten in die Hände spielte. Doch die Autorin blickt tiefer: »Dass die Pandemie als Ungleichheitsverstärker wirkte, lag nicht zuletzt daran, dass weltweit viele Gesellschaften einen jahrzehntelangen Prozess von Deregulierung, Flexibilisierung und Liberalisierung hinter sich hatten. Die größtenteils strengen Ausgangssperren trafen so auf Arbeitsgesellschaften, die die Bevölkerung nicht schützten, sondern unter den Bedingungen der Pandemie in existenzielle Krisen stürzten.« Exemplarisch führt Ulrike Eifler einige Berufsgruppen an, darunter die Kulturschaffenden, die ihre massiven Krisenerfahrungen mittels der Inszenierung von Katastrophen und Dystopien verarbeiteten, damit die Gemütslage der Gesellschaft treffend erfassend. »Aktuell spiegeln sie einen gesellschaftlichen Pessimismus wider.«

Ulrike Eifler selbst hat jedoch auch eine frohe, hoffnungsvolle Botschaft parat: Die weltweite gesteigerte Frustration über politische wie soziale Widersprüche drücke sich in einer Renaissance von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen aus, die sich zu einem neuen globalen Protestzyklus verdichten, mögen sie sich auch im Einzelnen hinsichtlich Protestanlasss und Protestziel unterscheiden. »Aber sie eint die Verweigerung, auch weiterhin klaglos die Priorisierung ökonomischer gegenüber sozialen Fragen zu akzeptieren.«

Ulrike Eifler: Gewerkschaftliche Machtressourcen zwischen Autoritarismus und Aufbruch. Globaler Protestzyklus und Globalisierung des Autoritarismus. Westfälisches Dampfboot, 327 S., br., 30 €.