nd-aktuell.de / 26.03.2024 / Politik / Seite 1

Ein Test für die dänische Regierungskoalition

Die Europawahlen könnten vor allem eine innenpolitische Signalwirkung haben. Wird die dänische Regierung abgestraft?

Andreas Knudsen, Kopenhagen

Es kann nicht behauptet werden, dass die diesjährige Europawahl ein Thema wäre, das den Durchschnittsdänen vom Hocker reißt. Zweieinhalb Monate vor der Wahl hat der Wahlkampf noch nicht einmal begonnen und die Positionierung der Parteien ist meist nur Parteimitgliedern bekannt, die die traditionellen Frühjahrskonferenzen verfolgt haben.

Wahlforscher gehen davon aus, dass die meisten Wähler sich erst in letzter Minute entscheiden werden. Die zersplitterte dänische Parteienlandschaft lädt zu schwer kalkulierbaren Wählerwanderungen ein. Traditionell sichert ein bekannter Spitzenkandidat ein gutes Wahlergebnis bei den Europawahlen, aber daran mangelt es dieses Jahr allen Parteien.

Aktuell wird Dänemark von einer Mehrheitskoalition, bestehend aus den Sozialdemokraten und zwei liberalen Parteien, regiert[1]: der alteingesessenen Venstre Partei sowie der Moderaten Partei. Es ist eine Art Vernunftehe, die die Wähler sich eigentlich nicht gewünscht hatten. Die Europawahl wird von den Medien als Kräftemessen zwischen ihnen und Misstrauensvotum gegen sie angesehen.

Die liberale Venstre-Partei wird vermutlich zwei Mandate einbüßen und eines an die Moderate Partei abgeben, einer Abspaltung von ihr, die Regierungspartner und Konkurrent zugleich ist. Die zweite Abspaltung der Venstre-Partei seit den letzten Europawahlen, die Dänischen Demokraten, wird wahrscheinlich das andere bisherige Venstre-Mandat erringen. Sie will die EU auf ihre wirtschaftlichen Kernaufgaben, sichere Grenzen einschließlich der Abweisung von Asylbewerbern an der EU-Außengrenze und keine Belastung der Landwirtschaft mit grünen Abgaben verpflichten.

Gemessen an der Zersplitterung der bürgerlichen Parteien sticht die Sozialdemokratische Partei als die einzige Partei heraus, die vermutlich die vier Mandate der letzten Wahl verteidigen kann. Eine Unbekannte ist jedoch, ob die Wähler der Partei ihr die Abschaffung eines Feiertages verziehen haben, die dieses Jahr in Kraft tritt.

Andererseits haben die Sozialdemokraten in der Regierung durchgesetzt, dass öffentlich Beschäftigte in den nächsten drei Jahren beträchtliche Gehaltssteigerungen bekommen werden. Diese werden allerdings von vielen als eine Art Bestechung aufgefasst. Ob das Zugeständnis ausreicht, um von der allgemein unbeliebten Regierungskoalition abzulenken, wird mit Spannung abgewartet. Das Wahlprogramm der Sozialdemokraten birgt keine Überraschungen: Nachhaltige Umwelt- und Klimapolitik, bedingungslose Unterstützung der Ukraine, Kampf gegen Steuerhinterziehungen und sichere Grenzen sind die Kernpunkte.

Volkssozialisten sind im Aufwind

Viele Wähler sind den Umfragen zufolge bereits zu den Volkssozialisten übergewechselt – ihrer kleineren, etwas linkeren Ausgabe. Sehr wahrscheinlich werden sie ihre zwei Mandate verteidigen können und vielleicht eines dazugewinnen, aber den Volkssozialisten fehlt das große Zugpferd, um mehr Wähler anzusprechen. Ihr Programm dreht sich vor allem um erneuerbare Energie- und Umweltpolitik, humane Flüchtlingspolitik und eine sozial orientierte EU.

Gleichzeitig stehen sie im Wettbewerb zur linken Einheitsliste, deren Vorhaben sich nur wenig von denen der Volkssozialisten unterscheiden: Sie fordern eine schnelle und radikale Umstellung der Energieproduktion, die grüne Umstellung der Landwirtschaft, verpflichtende Biodiversitätsziele und eine gemeinsame, humanistische Flüchtlingspolitik. Einst stellte sich die Einheitsliste bedingungslos gegen die EU. Heute wollen sie das Brüsseler Parlament nutzen, um europaweite Probleme zu lösen.

Europaskepsis hat keinen großen Zulauf

Vor zehn Jahren zog die »Volksbewegung gegen die EU« zum letzten Mal in das Europaparlament ein, aber die Zeiten für eine dedizierte »Nein«-Position im Mitte-Links-Spektrum der Wähler sind vorbei. Wer Europaskepsis sucht, muss auf die rechte Dänische Volkspartei ausweichen. Da Dänemark dieses Jahr mit 15 Plätzen einen mehr erhält als 2019, kann sie wahrscheinlich ihr Mandat mit dem Versprechen verteidigen, der Wachhund der nationalen dänischen Interessen zu sein. Im Sinne der DVP kann Europa als Festung gegen Flüchtlinge nützlich sein – ansonsten nicht für viel mehr.

Das Brexit-Chaos und dessen ökonomische Folgen haben den Austrittsbefürwortern in den vergangenen Jahren viel Wind aus den Segeln genommen.

Die Europawahlen werden das innenpolitische Gerangel der Koalitionsparteien zweifellos verstärken, aber sie werden daran vermutlich nicht zerbrechen. Viel eher sind sie Vertrauens- oder Misstrauensabstimmung der Wähler, die die EU-Wahlprogramme nicht notwendigerweise im Visier haben. Die Strategen der Regierungs- wie Oppositionsparteien werden die Ergebnisse gründlich auswerten und sich dann bestmöglich für die innenpolitisch wichtigeren Kommunalwahlen 2025 und Parlamentswahlen 2026 gerüstet zu sein.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169387.regierung-gebildet-daenische-politik-rueckt-nach-rechts.html