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LINKE entdeckt Familie neu

Fraktion sucht neue Linie für Vereinbarkeit von Leben und Beruf

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Arbeit familienfreundlich gestalten – unter diesem Motto trafen sich Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE am Montag in Berlin mit Wissenschaftlern und Vertreterinnen der Gewerkschaften.

Vizechef der Linksfraktion, Klaus Ernst, forderte gestern zum Auftakt der Tagung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem der Kernthemen der Bundestagsfraktion zu machen – endlich, denn bislang waren deutliche Wortmeldungen der Partei hierzu eher selten.

Das Plenum aus Wissenschaftlern und Gewerkschaftern legte eine Reihe von Fragestellungen vor, an denen sich die LINKE profilieren könnte. Alexandra Scheele, Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Potsdam, steuerte Aussichten auf eine künftige Familien- und Arbeitsmarktpolitik bei. Entweder bliebe es so trist wie bisher, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelänge besonders Frauen nur als Drahtseilakt. Oder es kämen auch andere Lebensmodelle mehr zum Zuge, etwa wenn beide Eltern kürzer arbeiteten. Dagegen gibt es aber viele institutionelle und mentale Widerstände. Deshalb, so Scheele, müsse um so dringender eine neue gesellschaftliche Debatte angestoßen werden: Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, sollte nicht länger nur als Frauenproblem betrachtet werden. Auch unter Familie allein zu verstehen, dass Kinder geboren werden und aufwachsen, erscheint ihr zu eng. Pflegebedürftige Ältere wollen ihren Platz im Leben haben, ebenso aber auch die Partnerschaft, das Ehrenamt oder die eigene Erholung. Andere schlugen vor, sich am englischen Begrif »care« zu orientieren, der sorgende Tätigkeit viel umfassender versteht – auch als Gegengewicht zur Erwerbsarbeit.

Auch die Rolle der Arbeit müsse neu diskutiert werden, hieß es. Gender-Forscherin Hildegard Maria Nickel von der Berliner Humboldt-Universität etwa betonte, dass die Wandlungsprozesse in der Wirtschaft für Frauen Chancen, aber auch Risiken mit sich bringen. Unter dem Etikett »mehr Selbstverantwortung« steht wenigen ein sozial abgesicherter Arbeitsmarktsektor offen, während die Mehrheit, meist Frauen, im Bereich prekärer Arbeit lande. Mittlerweile arbeiten in diesem Niedriglohnsektor bis zu 25 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Zunehmende Berufstätigkeit von Frauen bedeutet zumeist also keine angemessene soziale Absicherung.

Oft gepriesene Beispiele betrieblich organisierter Kinderbetreuung seien Einzelfälle, denen noch kein Rechtsanspruch zu Grunde liegt, so vielfache Kritik. In der Regel bleibt Hilfe von Unternehmen Gegenstand individueller Verhandlung, bei denen die »neuen Leistungsfähigen« – gut ausgebildete Mütter und Väter – gute Karten haben. Nickel monierte auch, dass gegen das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen nach wie vor keine politischen Strategien zu erkennen seien. Eine traditionelle Schutzpolitik für Frauen sei weiter ebenso nötig wie neue Bündnisse, etwa mit jenen Vätern, die angesichts der wachsenden beruflichen Forderungen auch für sich einen Leidensdruck spüren. Gleichstellungspolitik bleibe unverzichtbar und sei nicht durch Work-Life-Balance-Aktivitäten zu ersetzen.

Der Soziologe Stefan Reuyß forderte ebenfalls neue Konzepte, etwa gegen das »Dogma der Vollzeitkultur« und überlange Arbeitszeiten. Wenn für familienfreundliche Politik der Dreiklang von Geld, Infrastruktur, Zeit gefragt sei, so Reuyß, fehlten insbesondere unter dem letzten Aspekt Initiativen. Weitere Gedankenanstöße lieferten die Gewerkschafterinnen Anne Jenter von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie Ute Brutzki von ver.di. Sie mahnten ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ebenso an wie die Veränderung des Ehegattensplittings und in diesem Zusammenhang eine eigenständige Existenzsicherung auch für Frauen. Eine Honorierung von häuslicher Erziehungsarbeit lehnten beide indes strikt ab.

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