nd-aktuell.de / 23.10.2007 / Kultur / Seite 8

Geheimnisvoll

Hanna Schygulla erhält als Erste den neuen Preis »Die Europa« des Filmfestes Braunschweig

H.-D. Schütt

Sie sagt, sie schaue nicht gern in den Spiegel, denn die Augen, mit denen man sich selber anschaue, seien nicht jene, in denen man gern aufgehoben wäre. Rauschzustände hat sie geliebt wie den Glamour. Aber Glamour sei anstrengend, ein Instrument der Konkurrenzfähigkeit. Davon ist sie längst weit entfernt, geht gern zu Sandkästen um die Ecke ihrer Pariser Wohnung, da spielen Kinder, »Karl Valentin und Shakespeare pur«.

Aus der Karriere geworfen hat sie ihr eigener Charakter, und von Charakter kann man wohl immer erst sprechen, wenn das Herz dieHauptrolle hat: Es war ein einziger Moment, da ihre Mutter einen Schlaganfall bekam, der Tod, der daraufhin einsetzte, dauerte zehn Jahre. Sie hat keine Kinder, nun wurde die Mutter ihr Kind. Dann der ebenfalls sehr alte Vater. »Dieses Dienen hat mir gut getan«, nach den langen, hitzigen Fassbinder-Zeiten als »Marionette des Spiels«. Sie war privat gern ein Nichts, um frei zu sein für das, was Regisseure von ihr forderten.

Hanna Schygulla wurde 1943 nahe Auschwitz geboren. Am 25. Dezember, der Arzt hatte ihrer Mutter eine Verzögerungs-Spritze gegeben, man wollte Weihnachten feiern. Ein Arzt aus dem Lager, dazu das Urerlebnis, sehr langsam zur Welt gekommen zu sein. Urerlebnis, dann Urangst: stecken zu bleiben, eingesperrt zu sein: »Seither sitze ich immer in Türnähe.«

Sie studierte Germanistik, Romanistik, gründete mit Rainer Werner Fassbinder das »Antitheater«. War des Genies Lili Marleen und Effi Briest. Drehte mit Europas Spitzenregisseuren. War die Laszive in künstlichen Welten, zeigte lächelnde Bissigkeitskünste; ein zartes Monster purer Anwesenheit; ja: in reiner Anwesenheit erfüllte sich eine Aura, die freilich nur Fassbinder zu entfesseln vermochte. Präsenz ohne jeden Zusatzstoff einer virtuos erlernten Technik. Oft schien sie Angst davor zu haben, etwas spielen zu müssen; ihre Fremdheit verwandelte sich umgehend ins Unverwechselbare.

Aus der Schauspielerin war mit den Zeiten eine Sängerin geworden. Dann: Steinbichlers Film »Winterreise«, nun Fatih Akins »Auf der anderen Seite«. Comeback? Größe kehrt nicht um und nicht zurück. Größe wartet, bis wir selber sehend werden. Im Spiel der Schygulla fühlen sich die Geheimnisse sicher.