Ein heller Tag nach einer schwarzen Nacht

Morgen wird das historische Gebäude der Anna-Amalia-Bibliothek wiedereröffnet – Brandmale bleiben als Warnung

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: 6 Min.
In Weimar wird morgen pünktlich zum 268. Geburtstag von Herzogin Anna Amalia das vor drei Jahren durch einen Brand zerstörte historische Gebäude der Anna-Amalia-Bibliothek feierlich wiedereröffnet. Eine Vorbesichtigung bot Journalisten die Möglichkeit, das wiedererstandene Kleinod zu bewundern.

Die historische Anna-Amalia-Bibliothek ist wieder ein Glanzstück unter den Gebäuden am Weimarer »Platz der Demokratie«. Schon seit Dezember 2006 prangt ihr Äußeres in neuem Glanz. Bei der Restaurierung nach dem verheerenden Brand vom 2. September 2004 erhielt die Fassade eine Farbgestaltung, die sich an der Fassung von 1849, dem Jahr der abschließenden Erweiterung des Kernbaus, orientiert. Die Putzflächen sind in rötlichem Ocker gehalten. Die Lisenen, schmale, die Fassade gliedernde Wandstreifen mit Rokoko-Schmuckelementen im oberen Teil, sind in hellem Gelb abgesetzt. Nun öffnet sich auch die schwere Eichentür, die in ein schlichtes Foyer führt, in dem grüne Bodenfliesen den Blick auf sich ziehen. Sie sind ein Zitat des historischen Fußbodens des 1565 errichteten »Grünen Schlosses«, dessen Name sich von eben dieser Fußbodenfarbe und ähnlich gestalteten Wänden herleitete. 1766 wurde es auf Wunsch von Herzogin Anna Amalia zur Bibliothek umgebaut.

Ihr Herzstück ist der zentrale Bibliothekssaal, der Rokokosaal. Der seinerzeit mit dem Umbau beauftragte Landbaumeister August Friedrich Straßburger hatte dazu das Gebäude von der Bel Etage über drei Stockwerke entkernen und in den 21 mal 11 Meter messenden Raum eine durchgängige Holzkonstruktion einfügen lassen. Damit entstand ein ovaler Raum mit zwei Galerien. Pfeilerkapitelle, die Galeriegeländer und die zur zweiten Galerie geöffnete Decke wurden im Stil des späten Rokoko verziert.

Dem Saal hatte der Brand übel mitgespielt. Das im Dachgeschoss ausgebrochene Feuer fraß sich über eine hölzerne Treppe in die zweite Galerie und bedrohte die gesamte hölzerne Konstruktion. 380 000 Liter Löschwasser verhinderten zwar das Schlimmste, richteten aber zugleich beträchtlichen Schaden an der Bausubstanz und den Büchern an. Es dauerte Monate, bevor der Baukörper mit aufwendiger Technik wieder getrocknet war und die Restaurierung beginnen konnte.

Aufs Neue ein faszinierender Eindruck
Wer den Saal vor seiner Zerstörung kannte, wischt sich heute erstaunt die Augen, wenn er das Kleinod betritt. Der Rokokosaal prangt in gewohnter Pracht. Selbst der »Genius des Ruhms« von Johann Heinrich Meyer ziert wieder die Decke über dem Saal. Das Bild war vom Feuer zerstört worden. Sein Rahmen fand sich im Brandschutt. Auch die ursprünglichen Gipsstuckelemente haben Restauratoren mit Pinsel und Farbe täuschend echt gestaltet und den faszinierenden Eindruck wiederhergestellt. Von der zweiten Ebene des Saales, die als Studienraum völlig neu gestaltet wurde, enthüllt sich das Bild als Rekonstruktion.

An einer Wand des Studienraumes, an der früher Gemälde hingen, die der Brand vernichtet hat, gestaltete der Berliner Maler Helmut Metzner ein modernes, mehrschichtig aufgebautes Bild, das eine Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen soll. Es ist mit Druckfragmenten, Namen und Jahreszahlen aus der Zeit der Deutschen Klassik unterlegt, die teilweise wieder übermalt wurden. Bibliothekschef Michael Knoche gerät angesichts des wiedererstandenen Rokokosaals fast ins Schwärmen. Das sei ein heller Tag nach einer schwarzen Nacht, bekennt er und vergleicht das Gefühl mit dem Aufwachen aus einem schrecklichen Albtraum. Die Frage, was er in dem Saal am meisten vermisst, bringt ihn geradezu in Verlegenheit. Nichts, sagt er nach kurzem Nachdenken. Die Faszination des Raumes sei die Gleiche wie früher. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er nicht rekonstruiert, sondern sorgfältig restauriert wurde. Mehr als 90 Prozent der hölzernen Konstruktion und der Regale sind Originalteile. Insgesamt sind 85 Prozent des Hauses restauriert. Nur 15 Prozent mussten durch Neuteile ersetzt werden.

Unverkennbare Spuren der Katastrophe
Die Bücher, soweit sie nicht vernichtet wurden oder noch der Restaurierung harren, sind zurückgekehrt. Ein großer Teil der Gemälde und Büsten steht ebenso wie Karten, Globen und Medaillen wieder an ihrem angestammten Platz. Baulich und organisatorisch sei die Bibliothek so geordnet, dass sie die Rolle wieder spielen kann wie in ihrer Blütezeit im 18. Jahrhundert, betont Knoche.

Wer genauer hinsieht, entdeckt freilich unverkennbare Spuren der Brandkatastrophe. Auf den Dielen finden sich verkohlte Stellen. Die scheinbar unversehrte Balustrade über dem Saal enthüllt auf ihrer Rückseite, wie knapp alles der totalen Vernichtung entrann. Einige Baluster zeigen tiefe Brandspuren, andere sind an dem rohen Holz der Rückseite als Ersatz für völlig verbrannte erkennbar. Die Brandursache ist bis heute nicht schlüssig geklärt. Vermutet wird ein schon länger währender Schwelbrand in der elektrischen Anlage als Auslöser.

Die Behauptung von Thüringens Kultusminister Jens Goebel (CDU), niemand habe schuldhaft oder fahrlässig gehandelt, dürfte vielen Weimarern allerdings sauer aufstoßen. Nur zu gut erinnert man sich in der Klassikerstadt an das jahrelange peinliche Tauziehen zwischen Bund, Land, Stadt und Stiftung um einen als dringend nötig erkannten Bibliotheksneubau. Der war kurz vor dem Brand endlich fertiggestellt und die Umzugspläne für die Bestände waren bereits ausgearbeitet, um das historische Gebäude sanieren zu können. Drei Wochen vor dem Umzug machte der Brand alle Pläne zu Makulatur.

Der größte Bibliotheksbrand in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg verursachte einen Schaden von 67 Millionen Euro. Allein die Restaurierung des historischen Bibliotheksgebäudes verschlang 12,8 Millionen Euro, die im Wesentlichen vom Bund und dem Freistaat aufgebracht wurden. Auch ein Teil der über 20,8 Millionen Euro aus Spenden und Zuwendungen floss in diese Arbeiten. Für die Rettung der Bibliothek hatten sich viele Privatpersonen aus dem In- und Ausland sowie alle großen deutschen Stiftungen engagiert. Selbst von der Goethe-Gesellschaft aus dem fernen Südkorea kam eine Spende.

Ein Zentrum für das alte Buch
Das Feuer verschlang 50 000 Bände und 37 Gemälde. Nur 28 000 Bücher blieben unversehrt. 62 000 beschädigte Bände wurden in der Brandnacht und am folgenden Tag geborgen. 16 000 Bände sind bereits restauriert und 12 500 Bücher als Ersatz für die zerstörten wiederbeschafft. Die Restaurierung der brand- und wassergeschädigten Bücher wird nach Stiftungsangaben nicht vor 2015 abgeschlossen sein. Dafür seien auch weitere Spenden nötig, verlautet aus der Stiftung. Von den insgesamt dafür erforderlichen 67 Millionen Euro wurden bisher aus öffentlichen Mitteln und privaten Spenden erst 17,2 Millionen Euro aufgebracht.

Das von der Katastrophe ausgelöste Entsetzen hatte eine heilsame Nebenwirkung. Über drei Millionen Euro seien seither an anderen Stellen der Klassik Stiftung investiert worden, um die Bestände zu sichern, berichtete Stiftungspräsident Hellmut Seemann. Dennoch gebe es immer noch »ganz riskante« Situationen, räumte er ein, versicherte aber: »Wir haben gelernt.« Die restaurierte Bibliothek ist mit einer automatischen Hochdruck-Wassernebelsprühanlage ausgestattet, die garantiert, dass auch schwer zugängliche Stellen im Brandfall erreicht werden. Zu den Lehren aus dem Brand gehört, dass im kommenden Jahr ein neues Depotgebäue für die Klassikstiftung gebaut wird und die Generalsanierung des Goethe-Schiller-Archivs geplant ist.

Die restaurierte Bibliothek werde ein Zentrum für das alte Buch, in dem alle musealen und bibliothekarischen Dienstleistungen gebündelt werden, die sich um die ältesten und wertvollsten Bestände drehen, sagte Knoche. Von der Aufklärung bis zum Vormärz fehlt in den Beständen kaum eine Originalausgabe. Ab 1. Dezember ist das Gebäude wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Aus konservatorischen Gründen können allerdings täglich nur 290 Besucher den Rokokosaal bewundern. Dafür sind Voranmeldungen möglich. Die Hälfte der Eintrittskarten bleibt dem Tagesverkauf vorbehalten.

Platz der Demokratie 4, 99423 Weimar. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 Uhr bis 15 Uhr für Einzelpersonen, 15 Uhr bis 17 Uhr für angemeldete Gruppen bis 20 Personen

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