Völkische Sperrwerkzeuge

Mit der Sperrminorität hat die AfD ein weiteres Mittel, um den Parlamentsbetrieb vorzuführen

Die Neurechten um Björn Höcke werden ihre Sperrminorität nutzen, um maximalen Schaden anzurichten.
Die Neurechten um Björn Höcke werden ihre Sperrminorität nutzen, um maximalen Schaden anzurichten.

Innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl muss sich der neue Erfurter Landtag konstituieren. Die erste Sitzung wird der Alterspräsident leiten. Das ist eigentlich keine große Aufgabe: Ein paar Worte zur Begrüßung sagen, und dann wird der oder die Landtagspräsidentin gewählt. In Thüringen fällt nun aber Jürgen Treutler das Amt zu, AfD-Abgeordneter aus dem Landkreis Sonneberg. Der 73-Jährige könnte im Gegensatz zu seinem ebenfalls von der AfD kommenden Vorgänger Karlheinz Frosch eine bedeutende Rolle einnehmen.

Laut Geschäftsordnung des Thüringer Landtags steht der stärksten Fraktion im Parlament das Recht zu, eine Kandidatin oder einen Kandidaten für das Landtagspräsidentenamt vorzuschlagen. Die Wahl leitet der Alterspräsident. Bekommt die in diesem Fall von der AfD vorgeschlagene Person im ersten und zweiten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit, kann im dritten Wahlgang ein*e Gegenkanditat*in finden, die von den anderen Parteien unterstützt wird. Werden die restlichen Parteien sich nicht einig und der AfD-Kandidat bekommt die meisten Stimmen, wird er Landtagspräsident.

Maximilian Steinbeis schildert in seinem Buch »Die verwundbare Demokratie«, was die AfD allein mit diesem eigentlich nicht so bedeutenden Posten anfangen kann. So wären völkische Kunstausstellungen und Kongresse der Identitären Bewegung im Landtagsgebäude mühelos machbar. Theoretisch könnte ein rechter Landtagspräsident sogar eine eigene kleine Polizeitruppe zum Schutz des Landtags aufstellen. Es gäbe kaum eine Handhabe dagegen.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Für den täglichen Politikbetrieb ist aber die Sperrminorität, die der AfD-Fraktion nach der Wahl vom Sonntag zufällt, von größerer Bedeutung. Eine Partei bekommt sie, wenn sie ein Drittel der Sitze im Landtag erhält. Das trifft auf die AfD zu, denn sie hat 32 von 88 Landtagsmandaten gewonnen. Dies war auch eines der erklärten Wahlziele der Truppe AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke.

Für einige Vorhaben der künftigen Landesregierung oder des Parlaments ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten notwendig. Sie können nun nicht mehr an der AfD vorbei beschlossen werden. Für Stefan Möller, Landessprecher der Thüringer AfD, war das schon am Wahlabend ein Grund zum Jubel. Das »Brandmauergerede« müsse nun ein Ende haben, die anderen Parteien sollten endlich Kompromisse mit der AfD suchen, forderte er.

Gebraucht wird die Zweidrittelmehrheit etwa für die Wahlausschüsse zur Berufung von Richtern und Staatsanwälten auf Lebenszeit. Die Ausschüsse haben jeweils 15 Mitglieder, von denen zehn aus dem Landtag kommen. Jede Partei muss dabei vertreten sein. In der letzten Legislaturperiode weigerte sich die AfD, einen Vertreter in den Ausschuss zu schicken, bis ein AfD-Landtagsvizepräsident gewählt wurde. Blockiert die Partei in der kommenden Legislaturperiode die Wahl von Richter*innn und Staatsanwält*innen, bekommt die Thüringer Justiz ein Problem. Sie ist überaltert und könnte ohne Nachwuchs bald nicht mehr arbeitsfähig sein.

Auch Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, die etwa die Arbeit des Verfassungsschutz kontrolliert, benötigen in Thüringen eine Zweidrittelmehrheit um gewählt zu werden. Ob das Gremium also arbeitsfähig wird, hängt komplett von der AfD ab.

Eine Zweidrittelmehrheit ist zudem für Verfassungsänderungen notwendig, von denen es seit 1990 aber nur vier gegeben hat. Auch für die Auflösung des Landtags ist sie erforderlich. Zumindest letztere könnte von Bedeutung sein, wenn sich keine stabile Regierungsmehrheit findet oder wenn sich eine Koalition verkracht. Dann hängt es letztlich von der AfD ab, ob Neuwahlen beschlossen werden können oder nicht. Hat eine Partei eine Sperrminorität, muss sie nach den geltenden parlamentarischen Regeln in gewissem Maß an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden. Die AfD in Thüringen, aber nicht nur dort, hat allerdings kein Interesse an nur ein bisschen Beteiligung.

Bei der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten hatte die AfD im Februar 2020 ihren eigenen Kandidaten nicht gewählt und für Kemmerich gestimmt. Einiziges Ziel des Manövers: die anderen Parteien bloßstellen und für möglichst viel Chaos zu sorgen.

In einem kürzlich veröffentlichten Film über Björn Höcke, der von einem neurechten »Filmkunstkollektiv« gedreht wurde, durfte sich der extrem rechte Ideologe Götz Kubitschek über das Manöver bei der Kemmerich-Wahl auslassen. Er lobte die »erfrischende Frechheit«, mit der die AfD seinerzeit vorgegangen sei. In dem Film, in dem zahlreiche extrem rechte Weggefährten von Höcke zu Wort kommen, sagen diese sehr offen, dass das Parlament für sie nur eine von vielen Bühnen sei. Und dass die Thüringer AfD verstanden habe, dass man nicht mit den »Kartellparteinen« zusammenarbeiten dürfe, sondern diese vorführen müsse.

Kubitschek ist sich zudem sicher, dass die AfD wie auch das Parlament für Höcke nur Mittel für einen höheren Zweck seien. Und der sei die »Rettung Deutschlands«. Was sich Kubitschek und Höcke darunter vorstellen, ist leicht zu erahnen: die Schaffung eines völkisch-autoritären Staates. Um dahin zu kommen, sind ihnen viele Mittel recht. Mit der Sperrminorität haben sie nun ein weiteres.

Was sich Höcke und Freunde unter der »Rettung Deutschlands« vorstellen, ist leicht zu erahnen: die Schaffung eines völkisch-autoritären Staates. Dafür sind ihnen viele Mittel recht.

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