Ein verdeckter Ermittler hat in Großbritannien nicht nur während eines Einsatzes ein Kind gezeugt, ohne dass die Mutter wusste, dass er Polizist ist. Nun wird der mittlerweile ehemalige Undercover-Beamte Bob Lambert[1] auch beschuldigt, 1987 eine schwere Brandstiftung begangen zu haben. Dabei soll er unter dem Alias-Namen »Mark Robinson« als vermeintlicher Tierrechtsaktivist eine Filiale des bekannten Kaufhauses Debenhams in der Stadt Harrow im Großraum London in Brand gesetzt haben, was einen Schaden von umgerechnet rund 400 000 Euro verursachte. Dies wurde am Mittwoch im Rahmen einer seit neun Jahren laufenden öffentlichen Untersuchung zu verdeckten Polizeieinsätzen eines »Spezial-Demonstrations-Kommandos«, einer geheimen Einheit von Scotland Yard, bekannt.
Die Untersuchung, bekannt als »Undercover Policing Inquiry« (UCPI), beleuchtet die Aktivitäten von rund 140 verdeckten Ermittler*innen, die über vier Jahrzehnte mehr als 1000 politische Gruppen in Großbritannien, Europa und den USA infiltrierten. Viele dieser Gruppen agierten völlig legal. Die »Spycops« nutzten Identitäten verstorbener Kinder und gingen unter falschem Namen intime Beziehungen ein. In mehreren Fällen hatten sie mit ahnungslosen Frauen aus der ausgeforschtem Szene auch Kinder. Sobald ihre Missionen erfüllt waren, wurden sie abgezogen und verschwanden spurlos.
Erst 2010 brachte die Enttarnung des britischen Polizisten Mark Kennedy, der vor allem Klimaaktivist*innen ausspionierte, diese Praktiken ans Licht[2]. Kennedy war mit anderen Mitgliedern der berüchtigten Einheit auf dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und dem Nato-Gipfel 2009 in Straßburg und Baden-Baden im Einsatz.
Wesentliche Teile der Anhörungen finden hinter verschlossenen Türen statt, dennoch sind mittlerweile die Tarnnamen mehrerer Dutzend ehemaliger Spitzel bekannt geworden, in vielen herausragenden Fällen auch die Klarnamen[3]. Lambert gilt als zentrale Figur der Operationen.
Während seines Einsatzes in den 80er Jahren führte Lambert intime Beziehungen mit mindestens vier Frauen, ohne seine wahre Identität preiszugeben. Mit einer von ihnen, bekannt als Jacqui, zeugte er ein Kind und verschwand kurz darauf. Erst über 20 Jahre später entdeckte Jacqui die Wahrheit, was sie und ihr Kind schwer traumatisierte. Beide mussten sich nach eigener Aussage psychologisch behandeln lassen.
Die neuesten Vorwürfe gegen Lambert stammen von Paul Gravett, einem ehemaligen Aktivisten, der Lambert beschuldigt, den Plan für die Brandstiftungs initiiert zu haben. Gravett, der bei der UCPI am Mittwoch aussagte, erhielt Immunität vor Strafverfolgung im Austausch dafür, dass er Lamberts Rolle in der Verschwörung beschrieb. Anschließend gab er erstmals zu, Teil des Plans gewesen zu sein – was er zuvor stets bestritten hatte. David Barr, ein Anwalt der Untersuchung, bezeichnete Gravetts Aussage als »besonders bemerkenswert«.
Laut Gravett schlug Lambert im Frühjahr 1987 vor, die Proteste gegen den Pelzhandel auf ein »völlig anderes Ausmaß« zu eskalieren. Der Plan sah vor, kurz vor Ladenschluss Brandsätze in mehreren Debenhams-Filialen zu platzieren, die später per Zeitschaltuhr gezündet werden sollten, um das Sprinklersystem auszulösen und die Geschäfte zu fluten. Gravett und zwei weitere dafür auch verurteilte Aktivisten waren an der Aktion beteiligt. Lambert soll für eine Filiale in Harrow zuständig gewesen sein, Gravett für die Filiale in Reading. Da sein Zug Verspätung hatte und er das Geschäft nicht rechtzeitig erreichte, warf Gravett seine Brandsätze nach eigenen Angaben in einen Kanal. In der Filiale in Luton, in der das Sprinklersystem abgeschaltet war, entstand ein Schaden von über sieben Millionen Euro.
Lambert soll zu den Fällen im Dezember vor der UCPI aussagen. Neben seiner verdeckten Arbeit in den 80er Jahren stieg Lambert später in leitende Positionen innerhalb der geheimen Einheit auf. Seine Vorgesetzten hatten Lambert für seine Verdienste, die zur Verhaftung mehrerer Aktivist*innen führten, ausgezeichnet. Nach seiner Polizeikarriere war Lambert bis 2015 Dozent für Terrorismusstudien an verschiedenen Hochschulen. Nachdem britische Aktivist*innen Details seiner Vergangenheit ans Licht gebracht hatten, musste er zurücktreten und arbeitet seitdem als Wissenschaftler.
Acht Frauen, die durch die Einsätze des »Spezial-Demonstrations-Kommandos« getäuscht und traumatisiert wurden, klagten erfolgreich vor einem britischen Gericht und erhielten Entschädigungen[4]. Kürzlich wurde ein neuer Dokumentarfilm »Die Spitzel, die unser Leben ruinierten« erstmals auch in Deutschland gezeigt[5]. Er beleuchtet die Fälle der acht betroffenen Frauen, die den Einsatz von Sexualität durch verdeckte Ermittler als »staatlich ermöglichte Vergewaltigung« bezeichnen.