Worte für das Unsichtbare

Memo Anjel: »Das Fenster zum Meer«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Vor dem Fenster zum Meer kamen sie zusammen: die Mutter im Nerzmantel, die vier Schwestern in Seidenkleidern und ihr Bruder – der Ich-Erzähler – im englischen Anzug. »Und alle trugen wir Schmuck und waren parfümiert.« Ein Ritual beinahe: die Schiffe auf dem Meer zu beobachten und über die fremden Matrosen zu lästern, wobei es wohl vor allem um eine Bekräftigung der eigenen Sicht auf die Dinge ging. »Wir sind nicht die Familie Gott, perfekt in allem, was wir tun«, sagte die Mutter, die nun einmal in einer jüdischen Familie der Mittelpunkt ist, »aber wir verteidigen unsere Grenzen gegen jeden, der sie überschreiten und uns unsere Geschichte wegnehmen will. Ihr wisst ja, wie es draußen aussieht, da wird anders gelesen …«

Wer die Titelerzählung des Bandes für eine autobiografische halten will, wird bald irritiert. Denn da ist von Flucht die Rede, von »ägyptischen Tagen«, von Tod. Das muss vor der Lebenszeit des Autors ge...


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