»Tiger der Pampa«

Domingo Faustino Sarmiento: »Barbarei und Zivilisation«

  • Benjamin Jakob
  • Lesedauer: 3 Min.

Endlich! möchte man ausrufen, endlich erscheint dieser Titel auf deutsch, eines der wichtigsten Bücher Lateinamerikas: Sarmientos »Barbarei und Zivilisation«. Was für ein Werk, das Porträt eines halben Erdteils, und was für ein Autor. Domingo Faustino Sarmiento, geboren 1811 im Westen des heutigen Argentiniens, war Journalist, Erzähler, Politiker; er fühlte sich zum Lehrer seines Volkes berufen, zum Gesetzgeber der Nation. Seine Kindheit fiel in anarchische Zeiten: Die Region löste sich von der Kolonialmacht Spanien, in endlosen Kriegen entstanden neue Staaten und zerfielen gleich wieder. Lokalfürsten, Caudillos, kämpften gegen die Protagonisten eines Zentralstaates mit Buenos Aires als Hauptstadt. Sarmiento – eine egozentrische Persönlichkeit, kultiviert, liberal, Europa zugewandt – opponierte gegen die Despoten. Mehrfach vertrieben sie ihn ins Exil.

In Chile publizierte Sarmiento 1845 jenes Werk, das ihn weltweit bekannt machen sollte. Teil eins beschreibt das Land, die Kulisse – »unermeßlich die Ebenen, unermeßlich die Wälder, der Horizont immer unbestimmt«. Teil zwei erzählt vom Aufstieg einer authentischen Figur: Juan Facundo Quiroga (1788-1835). Quiroga, der »Tiger der Pampa«, brachte es vom Gaucho und Banditenführer zum Beherrscher einer Region, bevor er (zehn Jahre vor Niederschrift dieses Buches) einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Für Sarmiento war der Caudillo eine Art Spiegel der ländlichen Volksseele. Das Lebensbild des kleinen Tyrannen dient in Teil drei als Vorlage für ein Gemälde, das den großen argentinischen Gewaltherrscher im 19. Jahrhundert zeigt: Juan Manuel Rosas (1793-1877), Viehzüchter, Exporteur von Fleisch und Leder, de jure Gouverneur der Hauptstadt, de facto ab 1835 siebzehn Jahre lang Alleinherrscher. Mit Staatsterror, Geheimpolizei und Personenkult wirkte seine Diktatur schon sehr heutig. Vor Rosas verbarg sich Sarmiento in Chile (der Despot verlangte seine Auslieferung). Zur Kampfschrift gegen Rosas geriet das ganze Werk. Der Tyrann fühlte sich allerdings geschmeichelt: »Das Buch des verrückten Sarmiento gehört zum Besten, was gegen mich geschrieben wurde; so attackiert man.« Sieben Jahre später wurde Rosas von einem Gefolgsmann gestürzt. Er emigrierte nach England, lebte dort noch 25 Jahre auf seinem Landsitz bei Southampton.

Das Buch ist Abenteuerroman, biografischer Essay, Monographie zu Geschichte, Landeskunde, Nationalcharakter, auch Pamphlet und Reisebericht. Auffällig: der mitreißende, zu Dramatisierung und Pathos neigende Stil. Als roter Faden durch das Labyrinth diente dem Autor die Titelthese – Barbarei contra Zivilisation. Barbarisch war in Sarmientos Augen die Rohheit der Landbewohner. Zivilisiert glaubte er die kosmopolitischen Städter, vor allem jene, die noch gar nicht gekommen waren, Immigranten aus der Alten Welt. Dass auch die moderne Zivilisation barbarische Züge besitzt, hat Sarmiento nicht vorausgesehen. Das Werk, in Eile verfasst, zeigt Übertreibungen, Vorurteile, rassistische Wertungen, kolonialen Dünkel. Dennoch wurde der »Facundo« in Argentinien zu einem identitäts-stiftenden Werk. Ein US-amerikanischer Philologe nennt es »the most important book written by a Latin American in any discipline«.

Sarmiento hat vom Ruhm des Werks profitiert: Er wurde Botschafter, Gouverneur, schließlich (1868) sogar argentinischer Präsident und konnte seine Auffassungen von Zivilisation umsetzen, nicht immer zum Vorteil der Regierten. Seinen Lieblingsfeinden, den Caudillos, soll er immer ähnlicher geworden sein.

Domingo Faustino Sarmiento: Barbarei und Zivilisation. Das Leben des Facundo Quiroga. Aus dem Spanischen von Berthold Zilly. Eichborn. 456 S., geb., 28,50 EUR.

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