Sohn von Hrant Dink in der Türkei verurteilt

Dem Journalisten Arat Dink wird der Verweis auf den Völkermord im Osmanischen Reich vorgeworfen

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 2 Min.
Erstmals hat ein türkisches Gericht die Verurteilung zweier Türken armenischer Abstammung direkt damit begründet, dass die Angeklagten die Behauptung verbreitet haben, die osmanische Türkei habe während des Ersten Weltkriegs Völkermord an der armenischen Minderheit begangen.

Der Journalist Arat Dink und der Verleger der türkisch-armenischen Zeitung »Agos«, Sarkis Seropyan, wurden wegen »Erniedrigung des Türkentums« zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Arat Dink ist der Sohn des im Januar von einem jugendlichen Nationalisten erschossenen Chefredakteurs von »Agos«. Das Urteil gegen Arat Dink und Sarkis Seropyan bezog sich auf den Abdruck eines Interviews, das Hrant Dink ein halbes Jahr vor seiner Ermordung der Agentur Reuters gegeben hatte und in dem er die Frage nach einem Völkermord an den Armeniern bejahte.

Das Urteil gegen die beiden armenischen Journalisten hat ein Gericht erster Instanz im Istanbuler Bezirk Sisli bereits am 11. Oktober gefällt. Wie in der Türkei üblich, wurde jedoch die Begründung erst Wochen später schriftlich zugestellt. Und diese Begründung hat es in sich. Die Schrift sei »kränkend«, die wiedergegebenen Erklärungen hätten eine negative »psychologische Wirkung auf das türkische Volk«. Der gegen »die Türken« erhobene Vorwurf eines Völkermordes an den Armeniern würde nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen beruhen, sondern werde »für die politischen Zwecke verschiedener Staaten« und als »Material für persönliche Machtkämpfe« gebraucht. Die türkische Republik, die erst nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, werde durch den Völkermordvorwurf »quasi in Abwesenheit verurteilt« und im Voraus zum »Schwerverbrecher« erklärt.

In der 20-seitigen Urteilsbegründung werden sowohl wirkliche als auch angenommene Verbrechen von Armeniern an Türken geschildert. Dazu gehört die Erwähnung der armenischen Terrororganisation ASALA, die zahlreiche türkische Diplomaten ermordet hat, um Rache für den Völkermord zu nehmen. Daneben wird auch auf die angebliche »Tatsache« verwiesen, dass »syrische Staatsbürger armenischer Herkunft« als Terroristen zum bewaffneten Arm der PKK gehören. Zur Begründung dieser Behauptungen werden unter anderem die Bücher des Vorsitzenden der Türkischen Historikergesellschaft, Yusuf Halacoglu, herangezogen.

Ein aufgrund einer Anzeige eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Winterthur (Schweiz) gegen Yusuf Halacoglu wegen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern führte vor einiger Zeit zu einem Aufschrei in der Türkei.

Das Urteil gegen den Sohn von Hrant Dink hat auch deshalb einen bitteren Beigeschmack, weil vor Kurzem bekannt wurde, dass alle Verfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Mord an Hrant Dink mittlerweile durch die Intervention übergeordneter Behörden verhindert wurden. Polizei und Gendarmerie waren über elf Monate von zwei V-Männern bis ins Detail über die Vorbereitungen der Mörder informiert worden, ohne etwas zum Schutz des Opfers zu unternehmen.

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