Die Antarktis ist für viele ein beinahe mythisch anmutender Kontinent: Weit weg von allem und – zumindest für die meisten von uns – nicht wirklich erreich- und greifbar. Doch der Kontinent, der zu 98 Prozent aus Eis besteht, ist für die Wissenschaft von großer Bedeutung, da er tiefgreifende Auswirkungen auf das Klima und die Ozeane der Erde hat. »Eingeschlossen in der vier Kilometer dicken Eisschicht ist ein einzigartiges Archiv des Klimas unseres Planeten der letzten Million Jahre«, heißt es nicht umsonst von der British Antarctic Survey[1].
In den Gewässern um diese menschenfeindliche Region bewegt sich der mächtige Antarktische Zirkumpolarstrom (ACC). Der ACC ist fünfmal stärker als der Golfstrom und Teil des globalen »Förderbands« der Ozeane, das den Pazifik, den Atlantik und den Indischen Ozean verbindet. Das System reguliert das Klima der Erde und pumpt Wasser, Wärme und Nährstoffe rund um den Globus.
Seit Jahren warnen Forschende immer wieder davor, dass frisches, kühles Wasser aus dem schmelzenden antarktischen Eis das salzige Wasser des Ozeans verdünnt und die lebenswichtige Meeresströmung damit möglicherweise stört. Nun zeigt ein Team der University of Melbourne und des norwegischen Forschungszentrums Norce, dass die Strömung bei einem Szenario mit hohen Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 wohl um rund 20 Prozent langsamer werden wird.
»Der Ozean ist äußerst komplex und fein ausbalanciert«, sagte Bishakhdatta Gayen von der University of Melbourne, einer der Autoren der im Fachmagazin »Environmental Research Letters[2]« erschienenen Studie. Breche sein bisheriger Motor zusammen, so könnte dies weitreichende Folgen für das Leben auf der Erde haben: Das Klima könnte in Zukunft stärker schwanken, mit mehr extremen Wetterereignissen in bestimmten Regionen. Außerdem könnte die globale Erwärmung noch schneller voranschreiten, weil die Ozeane weniger in der Lage wären, CO2 aufzunehmen und somit weniger als Kohlenstoffspeicher wirkten.
Werden die Strömungen schwächer, könnte dies die Artenvielfalt und die Fischerei beeinträchtigen.
In einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema[3] vergleichen die Forscher den Antarktischen Zirkumpolarstrom zudem »mit einem Graben um den eisigen Kontinent«. »Die Strömung hilft, warmes Wasser fernzuhalten und schützt so empfindliche Eisflächen«, schreiben Gayen und sein Kollege Taimoor Sohail. Sie fungiere aber auch als Barriere gegen invasive Arten und spiele zudem eine große Rolle bei der Regulierung des Erdklimas. Fortschritte in der Ozeanmodellierung und ein Zugriff auf den größten Supercomputer Australiens, den »Gadi[4]«, ermöglichten nun eine gründliche Untersuchung potenzieller Veränderungen. Wenn kaltes, frisches Schmelzwasser aus der Antarktis nach Norden wandert – so die Prognose –, führt dies zu erheblichen Veränderungen der Dichtestruktur des Ozeans. Werden die Strömungen schwächer, wie die Modellierung zeigt, könnte dies die Artenvielfalt und die Fischerei beeinträchtigen, auf die viele Küstengemeinden angewiesen sind. Zudem könnten invasive Arten wie der Südliche Riesentang in die Antarktis vordringen und dort die lokalen Ökosysteme und Nahrungsnetze stören.
Eine schwächere Strömung könnte laut des Forschungsteams aber auch dazu führen, dass mehr warmes Wasser nach Süden vordringt, was das Abschmelzen der antarktischen Eisschelfe noch mal verschlimmern und somit zum globalen Anstieg des Meeresspiegels beitragen würde. »Ein schnelleres Abschmelzen des Eises könnte dann zu einer weiteren Abschwächung der Strömung führen«, erklären die Wissenschaftler. Ein wahrer Teufelskreis.
Die neue, düstere Prognose für den Antarktischen Zirkumpolarstrom deckt sich mit bereits früher entworfenen Szenarien. Trotzdem wollen die Wissenschaftler kein apokalyptisches Bild malen. Die Zukunft sei nicht vorherbestimmt, betonen Sohail und Gayen. Gemeinsame Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen könnten das Abschmelzen rund um die Antarktis noch begrenzen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189754.klimawandel-meeresstroemung-in-gefahr.html