Sachverständiger contra Mindestlohn

Mannheimer Wirtschaftsweiser Prof. Wolfgang Franz präsentierte Aussichten für die Hauptstadt

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

»Stottern die Triebwerke des Aufschwungs?«, fragte IHK-Präsident Eric Schweitzer als Gastgeber im Konferenzzentrum des Ludwig-Ehrhard-Haus gestern Nachmittag den Wirtschaftsweisen Prof. Wolfgang Franz. Er erläuterte unmittelbar nach der Übergabe der Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands Berliner Unternehmern in der IHK Berlin Folgerungen aus dem Gutachten für die Bundeshauptstadt.

Zwar sei die Stimmung gut, doch komme langsam Skepsis auf, ließ Schweitzer als Chef der Interessenvertretung der zahlreich erschienenen und eifrig nach weltwirtschaftlichen Zusammenhängen fragenden Berliner Unternehmer Sorge erkennen. Schließlich seien mehrere Prognosen für 2008 nach unten korrigiert worden. Zur Frage »Wo geht die Reise hin?« verwies der Weise, der seit 1997 Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim ist, auf die »verhalten optimistische« Mehrheitsmeinung des Sachverständigenrates. Die Konjunktur habe an Fahrt gewonnen, doch die Dynamik verlangsame sich. Die Bilanz der Regierung falle durchwachsen aus. Die Wachstumsraten gingen etwas zurück. »Doch Prognosen sind immer dann schwierig, wenn sie für die Zukunft gemacht werden«, kalauerte der Sachverständige zur Beruhigung.

Ganz sicher war sich der Experte allerdings bei der vehementen Ablehnung der von Rot-Rot mit einer Bundesratsinitiative und der Festlegung von Regeln zur Vergabe öffentlicher Aufträge vorangetriebenen Einführung von Mindestlöhnen. Damit würde Beschäftigung lediglich verlagert, meinte Prof. Franz. Das begründete er nicht zuletzt damit, dass mögliche Konkurrenten neue Arbeitsplätze erst gar nicht entstehen lassen würden. Hinzu kam auch der Hinweis auf Berliner Hotels, die ihre Wäsche bereits jetzt ohnehin im nahen Nachbarland Polen waschen ließen. Damit könnte dem Mindestlohn aus dem Weg gegangen werden. Er räumte ein, dass es »natürlich Hungerlöhne« gebe.

Hier müsse man aufstocken. Den öffentlichen Beschäftigungssektor, den die LINKE anstrebt, lehne er »vehement« ab. Das sei nur eine Variante der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Diese seien »mehr oder weniger nutzlos, manchmal sogar schädlich« gewesen. Man solle bei ALG II bleiben. Er verwandte sich im Gegenzug für eine Unternehmenssteuerreform, Weiterführung der Reformen auf dem Arbeitsmarkt mit größeren Zuverdiensten bei ALG II zum Anreiz sowie eine Neuregelung der Staatsverschuldung. Bei Letzterem dürfe es nur eine Neuverschuldung in Höhe der Nettoinvestitionen geben. Staatsausgaben dürften nur entsprechend den Steuereinnahmen steigen. Reformen, die sinnvoll waren, wieder zurückzudrehen, nannte der Wirtschaftsweise auf die Frage nach dem »größten Gefährdungspotenzial« der Wirtschaftsentwicklung.

Rente mit 67 und ALG II dürften nicht wieder in Frage gestellt werden. Die Verlängerung des Bezuges des ALG I könne das »Schleusentor« für die Rücknahme der von ihm nachdrücklich gelobten Reformen werden, befürchtete Prof. Franz. Er rechnete mit einer »sehr engen« Bestimmung, für wen der Bezug verlängert werde, und er hoffe, »dass es dabei bleibt«.

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