Von unschätzbarem Wert war das Handeln jener Antifaschisten und Hitlergegner, die sich rechtzeitig vor dem Zugriff der Gestapo ins Exil hatten retten können und nun von dort aus alles Erdenkliche unternahmen, um anderen von politischer und rassistischer Verfolgung bedrohten Deutschen die Flucht ins Ausland zu ermöglichen sowie sie mit von verschiedenen oppositionellen Gruppen, insbesondere der Arbeiterparteien, verfassten Flugschriften über Kurierdienste, beispielsweise der Internationalen Transportarbeiter Föderation, zur Verbreitung ins »Deutsche Reich« zu schmuggeln. Diese Kontakte brachen mit Beginn des Krieges, dem Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939, weitgehend ab, auch wenn die KPD im Exil mehrfach versuchte, Instrukteure für die Widerstandsgruppen illegal ins Land zu lotsen. Tatsächlich waren solche Kontakte über die Niederlande (ins Ruhrgebiet) und Dänemark (nach Hamburg und Berlin) noch eine Weile möglich. Zumeist waren die Nazigegner im »Reich« jedoch fortan auf sich selbst gestellt. Sie bezogen ihre Informationen nunmehr vornehmlich über die Rundfunksender der Alliierten, auf deren Basis sie jetzt selbst vermehrt Flugschriften erstellten.
Im Hinblick auf die fast vollständige Isolierung und die tagtägliche Bedrohung, enttarnt und verhaftet zu werden, ist es beeindruckend, wie viele Widerstandsgruppen es aus dem Umfeld der Arbeiterorganisationen in den Kriegsjahren in allen Teilen des faschistischen Deutschlands, insbesondere in den Industrieregionen, gab. Zu den bedeutendsten gehörte die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, die zuerst ihren Schwerpunkt in Hamburg hatte und später dann auch in und von Berlin aus ihre Netzwerke spann.
Die wohl bekannteste Gruppe, in der neben früheren Mitgliedern der Arbeiterparteien auch bürgerliche Kreise, Künstler und Wissenschaftler eingebunden werden konnten, war die Schulze-Boysen-Harnack-Organisation, in der Nazidiktion auch »Rote Kapelle« genannt. Sie leistete antifaschistische Aufklärungsarbeit und nahm sogar Kontakt zur bis 1941 in Berlin existierenden sowjetischen Botschaft auf, um teils in Ministerien und Behörden gewonnene militärpolitische Informationen weiterzugeben. Deshalb galt sie in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung lange Zeit als sowjetische Spionageorganisation, womit ihr antifaschistischer Widerstand – gemäß der faschistischen Zuschreibung – im Sinne einer ausländischen Macht als »Landesverrat« denunziert wurde.
Hochachtung verdient auch der Widerstand der Gruppe um die jüdischen Jungkommunisten Herbert und Marianne Baum, die nicht nur Aufklärungsarbeit, sondern auch Rettungswiderstand leistete. Deren spektakulärste Aktion, der Brandanschlag auf die Goebbel’sche Hetzausstellung »Das Sowjetparadies« im Berliner Lustgarten bezahlten sie mehrheitlich mit ihrem Leben.
In den sächsischen und thüringischen Industriegebieten agierte die Neubauer-Poser-Gruppe, in der ehemalige Mitglieder der 1933 verbotenen Arbeiterparteien ebenfalls sich nicht nur darum bemühten, der deutschen Bevölkerung das verbrecherische Wesen der NS-Regierung zu enthüllen, sondern im Sinne einer antifaschistischen Volksfront und des Konzeptes des inzwischen in der Sowjetunion und in anderen Exilländern gebildeten »Nationalkomitees Freies Deutschland« für ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland nach dem Sturz Hitlers auch eigene Visionen entwickelten. Und es waren nicht nur organisierte Kräfte, die Widerständigkeit zeigten. Gerade unter Arbeitern gab es viele Beispiele, wo durch Kontakte zu Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen praktische Formen der internationalen Solidarität praktiziert wurden.
Arbeiterwiderstand war von Anfang bis Ende präsent.
-
Es ist hier nicht der Platz, alle regionalen und überregionalen Gruppen zu benennen, aber mit voller Berechtigung kann man feststellen, dass der Arbeiterwiderstand nicht nur von Anfang an gegen die faschistische Gefahr und den Faschismus an der Macht gekämpft hat, sondern auch im Krieg durchgängig bis zur Befreiung präsent war.
Dieser aufopferungsvolle Kampf hatte blutige Konsequenzen. Von den insgesamt rund 300 000 Mitgliedern der KPD und ihrer Massenorganisationen zum Ende des Jahres 1932 wurden während der NS-Zeit etwa 150 000 für eine mehr oder weniger lange Zeit in Haft genommen. Damit hat die KPD erkennbar die größten Opfer im antifaschistischen Widerstand erbringen müssen. Ein Großteil ihrer Funktionäre, Mitglieder des ZK oder der Bezirks- und regionalen Leitungen, wurden nicht nur inhaftiert, sondern ermordet. Die heimtückische Ermordung ihres einstigen Vorsitzenden Ernst Thälmann im KZ Buchenwald am 18. August 1944 war ein deutliches Indiz dafür, dass das NS-Regime mit Blick auf den eigenen Untergang noch versuchte, seine politischen Gegner mit ins Grab zu ziehen.
Bemerkenswert ist, dass der Arbeiterwiderstand in Deutschland eine Sache von Männern und Frauen war. Angesichts der Tatsache, dass 1933 nur etwa zehn Prozent der KPD-Mitglieder Frauen waren, ist auffällig, dass auch bei den politischen Strafverfahren vor NS-Gerichten etwa zehn Prozent der Angeklagten weiblich waren. Durch die Verhaftung der Männer wie auch deren Rekrutierung als Soldaten übernahmen Frauen vielfältige Aufgaben in den verschiedenen Widerstandsgruppen und Widerstandsformen.
Sozialdemokraten und Gewerkschafter versuchten in der Kriegsphase weiterhin, Kontakte ins Ausland aufrechtzuerhalten. Die im »Deutschen Reich« lebenden Anhänger wollte man nicht durch offensive Aktionen gefährden. Auch erwartete die Führung im Prager und dann im Londoner Exil nicht, dass der innerdeutsche Widerstand das NS-Regime stürzen könne. Spätestens mit dem Scheitern des Attentats der Verschwörer um Claus Graf von Stauffenberg vom 20. Juli 1944 ging man davon aus, dass dies nur von außen, durch die militärische Niederlage getragen durch die Alliierten, gelingen könnte.
Dennoch wurden zahlreiche SPD-Funktionäre und frühere Mandatsträger Ende August 1944 von den Nazis im Rahmen der »Aktion Gitter« verhaftet. Man geht von circa 5000 Verhafteten aus, von denen viele in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Neuengamme und Sachsenhausen verschleppt wurden. Zu nennen ist der Gewerkschafter und ehemalige hessische Innenminister Wilhelm Leuschner, der Mitte August 1944 als Beteiligter am »Kreisauer Kreis« verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 29. September 1944 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet worden ist.
Nicht nur der berühmte »Schwur von Buchenwald« vom 19. April 1945 mit den Losungen »Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln« und »Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit«, auch in anderen Lagern und Haftanstalten sowie in illegalen Zirkeln hatte man vergleichbare Vorstellungen von einem neuen, demokratischen, antifaschistischen Deutschland und Weltordnung entworfen. Sie sind wie der in der Bundesrepublik bis heute marginal beachtete Arbeiterwiderstand ein politisches Vermächtnis, das lebendig gehalten werden sollte. Gerade jetzt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190935.arbeiterwiderstand-von-anbeginn-an-widerstaendig.html