Bundestrainer Christian Wück[1] versichert ziemlich glaubhaft, sein erstes Turnier mit den deutschen Fußballerinnen kaum erwarten zu können. Bei der EM vom 2. bis 27. Juli in der Schweiz[2] richtet sich das öffentliche Brennglas auf Trainer und Team. Das 45. DFB-Pokalfinale zwischen Bayern München und Werder Bremen diente am Tag der Arbeit als eindrucksvoller Beleg, dass das interessierte Publikum am Fußball der Frauen stetig wächst. Das in diesem Rahmen zum dritten Mal ausverkaufte Kölner Stadion bot das bislang stimmungsvollste Ambiente, seitdem das Endspiel der Frauen ab 2010 als eigene Veranstaltung ausgetragen wird.
Bremens Trainer Thomas Horsch[3] hielt selbst nach der 2:4-Niederlage gegen den FC Bayern erfreut fest, dass kein Eventpublikum mehr auf den Tribünen sitze oder stehe, sondern immer mehr Anhänger, die Rituale von den Männern mitbrächten. Pyrotechnik inklusive. Er wähnt die Frauen damit auf dem richtigen Weg. Sein Münchner Kollege Alexander Straus war nicht nur wegen der tollen Kulisse gut drauf: Mit Anglerhut auf dem Kopf und Bierflasche in der Hand plauderte der Norweger entspannt darüber, wie viel Ballast von ihm abfalle – und wie schwer es sei, mit dem FCB-Logo immer den Erwartungen standzuhalten.
Wück hat all die Reifeprüfungen noch vor sich. Sein Halbzeitinterview in der ARD geriet zum Kontrastprogramm der guten Laune. Da ist zum einen das öffentliche Tauziehen um eine EM-Teilnahme der immer noch im Aufbautraining befindlichen Lena Oberdorf. Seit sich Deutschlands beste Fußballerin im vergangenen Juli das Kreuzband gerissen hat, bestritt der Stareinkauf des FC Bayern noch kein einziges Spiel. Stand jetzt, sagte die Münchner Direktorin Bianca Rech, könne die 23-Jährige auch mit dem DFB-Team[4] keine EM bestreiten, weil sie noch nicht mal ein Mannschaftstraining voll durchhalte.
Klingt nachvollziehbar, einerseits. Andererseits entgegnete Christian Wück[5], dass es bis zum ersten EM-Spiel am 4. Juli gegen Polen noch eine Weile hin sei. »Es wäre fahrlässig, wenn wir jetzt schon die Tür zumachen würden. Acht Wochen in einer Rehaphase können unheimlich viel ausmachen.« In diesem Zusammenhang erinnerte der 51-Jährige an die U17-WM 2023, als er bis zuletzt auf Amulgera Kabar nach einem Syndesmosebandriss gewartet habe, der für den deutschen Nachwuchs im Elfmeterschießen gegen Frankreich dann später den Titel perfekt machte.
Doch der 51-jährige Bundestrainer weiß auch: Die Entscheidung in der Causa »Obi« werde nicht er treffen, der Ball liege bei der Spielerin und dem Verein. Und insbesondere der Doublesieger aus München stellt seine eigenen Interessen gerne voran, wie schon beim lächerlichen Abstellungsstreit vor der WM 2023 in Australien. Auch jetzt kommt es zu einem bayerischen Alleingang: Die Doublesiegerinnen nehmen nach dem Ende des letzten Spieltags in der Bundesliga[6] in gut einer Woche vom 21. bis 23. Mai noch beim World Sevens Football Kleinfeldturnier in Estoril teil – ein Kurzspielformat im Sieben gegen Sieben, für das der Veranstalter acht internationale Topteams mit viel Geld geködert hat. »Ich freue mich nicht drüber«, gestand Wück. Er könnte auch sagen: Das ist grober Unfug für die deutschen Nationalspielerinnen, denen wohl freigestellt wird, ob sie da mitkicken wollen. Wück kann nur hoffen, dass Giulia Gwinn, Klara Bühl und Lea Schüller verzichten, denn die Duelle in der Nations League[7] am 30. Mai gegen die Niederlande und vier Tage später gegen Österreich sind die letzten Härtetests vor der EM.
Erstaunlich ist, dass der Bundestrainer erst am 19. Juni seinen EM-Kader in einem Trainingslager in Herzogenaurach versammeln wird. Verdammt wenig Zeit, wo doch das Gerüst noch nicht mal steht. Eigentlich wäre im Terminkalender genügend Zeit für eine ausgedehnte Vorbereitung, wie sie der Gastgeber Schweiz und andere Nationen betreiben. Doch Verband und Vereine haben sich für einen anderen Weg entschieden, damit die Sportlerinnen auch mal abschalten können. Dabei ist die Wahrheit doch, dass die besten deutschen Fußballerinnen in diesem Frühjahr – auch bedingt durchs frühe Aus in der Champions League der Bayern und des VfL Wolfsburg[8] – eher zu wenig als zu viel gespielt haben.