nd-aktuell.de / 04.05.2025 / Kommentare / Seite 1

Bei Mord und Totschlag ermittelt bald die KI

Anne Roth über Künstliche Intelligenz in der Strafverfolgung

Anne Roth
Ermittlungsteam des Tatorts »Im Wahn«: Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), Yael Feldman (Peri Baumeister) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, v.l.n.r.)
Ermittlungsteam des Tatorts »Im Wahn«: Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), Yael Feldman (Peri Baumeister) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, v.l.n.r.)

Die Kameras am Bahnhof: Leider schon wieder kaputt. Die Funkzellenanalyse hat auch nichts Brauchbares ergeben. Zwar waren 200 Menschen zum Tatzeitpunkt in der Nähe, aber niemand hat den Täter wirklich gesehen. Zwei Menschen wurden kurz hintereinander mit dem Messer erstochen, sind verblutet. Und da, sagt die LKA-Chefin, muss man auch mal offen sein für neue Ermittlungsmethoden. Deswegen landet kurz nach Mitternacht ein Mann aus London und bringt das wichtigste Produkt des Unternehmens mit: eine KI-basierte Investigations-Software. Der Kommissar fragt: »Ich dachte, das wäre in Deutschland nicht zugelassen?« Er bekommt als Antwort: »Ja, aber die niedersächsische Landesregierung bewilligt den Testlauf in Fällen außergewöhnlicher Dringlichkeit!«

Es hätte eine Dokumentation sein können, aber tatsächlich war es der Tatort vom Ostermontag mit dem charmanten Titel »Im Wahn«[1]. Im Film berechnet die Software, wer der wahrscheinlichste Täter ist, und hat dazu Zugriff auf Bewegungsprofile sowie Social-Media-Daten. Sie kennt sogar die Behördenkontakte der vergangenen zehn Jahre von allen Personen, die in Frage kommen. Ein Mann war in psychiatrischer Behandlung. Zwar hatte die Film-KI keinen Zugang zu Gesundheitsdaten, aber die Bewegungsprofile reichten aus, um festzustellen, dass er regelmäßig eine entsprechende Klinik besucht hat. Das reichte, um ihn besonders verdächtig zu machen. Den skeptischen Kommissar fragt seine Chefin provokant: »Haben Sie etwa Angst vor Algorithmen?« Wer will sich da schon als Technikfeind*in hinstellen lassen heutzutage?

Als Krimistoff ist das angenehm gruselig. Nur hatten keine zwei Wochen vorher CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass »Sicherheitsbehörden, unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben und digitaler Souveränität die automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels Künstlicher Intelligenz, vornehmen können«.

Es gibt ein reales Unternehmen, das solche Software an Sicherheitsbehörden verkauft. Es heißt Palantir und wurde von Peter Thiel gegründet, der gemeinsam mit Elon Musk zur »Paypal-Mafia«[2] gehört, deren Mitglieder libertäre Milliardäre mit Wurzeln in Südafrika sind. Thiel hat mit Musk für die neue Regierungsabteilung »Department of Government Efficiency« (DOGE) gearbeitet und teilt dessen reaktionäre politische Ziele. Im April wurde bekannt, dass sie vorhaben, die Daten der US-Steuerbehörde[3] durch Palantir – ein privates Unternehmen – verarbeiten und auswerten zu lassen. Palantir soll außerdem an der Entwicklung einer Datenbank beteiligt werden, die Informationen zu Immigration zusammenführt und dabei helfen soll, Abschiebungen[4] zu beschleunigen.

Auch in Deutschland gibt es bereits Sicherheitsbehörden, die Palantir-Software einsetzen – und zwar in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Der Freistaat hatte Optionen für den Kauf durch Bundesbehörden schon verhandelt; das aber wurde 2023 vom Bundesinnenministerium noch abgelehnt. Die Länder Bayern, Berlin, Hessen und Sachsen-Anhalt[5] haben im März die Nutzung entsprechender Software[6] für alle Polizeien des Bundes und der Länder im Bundesrat beantragt. Und dieser Antrag wurde angenommen.

Warum? Weil »in der jüngsten Vergangenheit oftmals Personen mit psychischen Auffälligkeiten als Täter von Gewalttaten in Erscheinung getreten sind. Um solche schweren Straftaten besser erkennen und erfassen zu können, müssen personenbezogene Verhaltensmuster und Risiken rechtzeitig festgestellt, analysiert und bewertet werden«, so die Begründung. Es soll »eine bundesweite Vernetzung der Erkenntnisse zwischen Sicherheits-, Gesundheits-, Waffen- und ggfls. Ausländerbehörden sichergestellt werden«. Klingt, als sei es aus dem Tatortdrehbuch abgeschrieben, souffliert von Elon Musks Spezial-Behörde DOGE.

Warum ist das ein Problem? Weil sensible Daten nichts bei privaten Unternehmen zu suchen haben. Und weil Künstliche Intelligenz nicht intelligent ist, sondern Wahrscheinlichkeiten berechnet. Basierend auf Daten, die vorliegen. Wenn also psychisch Kranke häufiger in polizeiliche Maßnahmen geraten, »lernt« die KI, dass sie krimineller sind als andere. Das hat im Zweifel mehr mit den Vorurteilen der Ermittler*innen zu tun als mit der Realität. Das kennen wir schon vom Racial Profiling.

Immerhin: Die Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen haben sich gegen den Einsatz von Palantir [7]ausgesprochen. Zu befürchten ist, dass die demnächst vom neuen bayrischen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) gefragt werden, ob sie sich vor Algorithmen fürchten, bevor er Palantir für die Sicherheitsbehörden des Bundes einkauft. Da die Unionsfraktion in der vergangenen Legislatur schon einen Antrag gestellt[8] hatte, Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesländern die Nutzung solcher Software zu ermöglichen, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis das Kabinett von Friedrich Merz das umsetzt.

Ach ja – im Krimi hieß die Firma wenig subtil »Kroisos«. Und was sie neben all den Daten vor allem wollte: mehr Geld.

Links:

  1. https://www.ardmediathek.de/video/tatort/im-wahn/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS8yMDRjN2FkMy04NDRkLTRjYjAtOTIzNS1iYzIyMmZjZmY0ZmZfZ2FuemVTZW5kdW5n
  2. https://www.theguardian.com/technology/2025/jan/26/elon-musk-peter-thiel-apartheid-south-africa
  3. https://www.heise.de/news/Hackathon-IRS-und-DOGE-wollen-Steuerdaten-der-US-Buerger-in-Palantir-heben-10349796.html
  4. https://edition.cnn.com/2025/04/25/politics/doge-building-master-database-immigration/index.html
  5. https://dip.bundestag.de/vorgang/entschließung-des-bundesrates-priorisierung-auskömmliche-finanzierung-und-rechtssichere-implementierung-eines/320143
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190566.us-polizeisoftware-deutscher-dissens-zu-palantir.html?sstr=palantir
  7. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/palantir-polizei-software-kritik-100.html
  8. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw24-de-bundes-vera-1006798